: Die Deutschen als PC-Gemeinschaft
So wird das nichts mit der Leitkultur: Die ominösen Fragen an Einbürgerungswillige konstruieren das Bild einer Gesellschaft, die politisch korrekt ist – bis zur Karikatur ihrer selbst
In dem „Gesprächsleitfaden“, der in Baden-Württemberg nun bei muslimischen Antragstellern auf einen deutschen Pass abgearbeitet wird, lautet Frage 16: „Wie stehen Sie dazu, dass Schulkinder an Klassenausflügen und Schullandheimaufenthalten teilnehmen?“ Es ist eine dieser Fragen, bei denen man sich die Augen reibt (siehe taz von gestern). Warum will die Einwanderungsbehörde das wissen? Sie will auch wissen, wie man zu Chefinnen und homosexuellen Söhnen steht. Man merkt: Hier wird ein PC-Katalog abgefragt.
Dieser „Gesprächsleitfaden“ ist viel kritisiert worden. Zu Recht. Auch wenn im Zuge des Multikulturalismus vormoderne Ansichten vom familiären und gesellschaftlichen Zusammenleben verharmlost worden sein sollten – man hat ja schon das Argument im Ohr, das den Leitfaden als notwendige Gegenbewegung zu einem allzu laxen Multikulturalismus verteidigt –, ändert das nichts daran, dass den Staat die Gesinnung seiner Bürger nichts angeht.
Was ihn sehr wohl etwas angeht: dass deutsche Staatsbürger die Verfassung achten, die Gesetze einhalten und ihre Steuern zahlen. Das muss der Staat durchsetzen. Aber ein Staat, der seine Aufgabe darin sieht, sich in Lebensführung und Ansichten seiner Bürger – der jetzigen und der zukünftigen! – einzumischen, bleibt im besten Fall ein Obrigkeitsstaat, selbst wenn der Wille dahinter noch so gut sein sollte. Im schlimmsten Fall tendiert er ins Totalitäre.
Es gibt weitere Bedenken anzumelden. Der „Gesprächsleitfaden“ ist nicht allein entwürdigend und problematisch. Er ist auch entlarvend. Auf seiner Rückseite konstruiert er ein Bild einer Gesellschaft, die bis zur Karikatur ihrer selbst den Forderungen politischer Korrektheit folgt. Von diesem Land aus darf, so der Eindruck, nie wieder ein Chefinnenwitz ausgehen, geschweige denn etwas Schlimmeres (Frage 11: „Hätten Sie bei bestimmten Berufen Schwierigkeiten, eine Frau als Autoritätsperson anzuerkennen?“). Die Deutschen also, wenn schon nicht mehr als Volks-, so doch als PC-Gemeinschaft – höflich zu Frauen, nett zu Minderheiten und sich stets gewahr, dass die eigenen Ansicht jemanden mit anderen Ansichten verletzen könnten. Wer das nicht mitmacht, fliegt raus oder kommt gar nicht erst rein in dieses Land!
Was aber auf den ersten Blick wie der Wunschtraum aller Ausländer- und Gleichstellungsbeauftragten aussieht, hat seine rigiden Rückseiten. Nicht nur die Gesetze, sondern auch die konkreten Werte einer Gesellschaft an den Staat zu delegieren zeugt selbst von einer bestimmten Gesinnung: Sie ist kleinkariert und auch verlogen. Es bedeutet keine Verharmlosung von Ehrenmorden und Terrorismus, wenn einem angesichts dieses „Gesprächsleitfadens“ bang ums Herz wird. Integration wird in ihm zu einem Kotau vor einem Kanon des Wohlverhaltens, die Wertegemeinschaft zum Ausschlussinstrument. So wird das nichts mit der Leitkultur. Vor allem aber erhält man so keine selbstbewussten Bürger, sondern Schleimer und Untertanen.
Flapsig gesagt: Auch wer Chefinnenwitze reißt, muss Deutscher werden können. Anders geht es nicht. DIRK KNIPPHALS