piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ich mache kein Ghettotheater“

Ankommen, leben, Ziele, Enttäuschungen – und kotzen: Auf diese Formel bringt der Schauspieler und Regisseur Tamer Yigit in dem Theaterstück „Meine Melodie“ seine Biografie. Migrationsdiskurse interessieren ihn ebenso wenig wie Kanakenkunst

INTERVIEW KIRSTEN RIESSELMANN

taz: Herr Yigit, in Ihrem Stück „Meine Melodie“ geht es um Ihre Biografie, Ihre Familie, Ihr Großwerden im Kreuzberger Wrangelkiez. Wie bringen Sie das auf die Bühne?

Tamer Yigit: Eigentlich geht es mir immer um Zustände: Was jetzt gerade in diesem Augenblick mit genau diesen Menschen passiert. Die Geschichte von „Meine Melodie“ fängt aber ausnahmsweise in der Vergangenheit an: in meiner Vergangenheit, in der Vergangenheit meiner Mutter und meines Vaters. In dem Stück spielt mich mein 18-jähriger Bruder – der macht mir echt Kummer, weil er genauso ist wie ich auf der Bühne. Unberechenbar. Die Geschichte startet mit meiner Schulkarriere, die ich gnadenlos boykottiert habe – hundert Fehltage schon in der ersten Klasse. Meine Lehrer konnten mir einfach nicht das beibringen, was ich lernen wollte. Ich habe mich selbst weitergebildet: Lesen ist bis heute mein einziges Hobby – und mit meinen Eltern abhängen und schlechte Witze reißen. Alles andere – Musik, Filme, Theater – ist mein Beruf geworden.

Nur Beruf oder doch Berufung?

Berufung – es geht nicht anders, ich kann nichts anderes. In einer Fabrik arbeiten geht auch nicht, weil es ja kaum noch Fabriken gibt.

In „Meine Melodie“ wird getanzt, gesprochen und Musik gemacht. Wie kommt das alles zusammen? Improvisiert?

Nein, ich hasse Impro. Ich mag aber, dass es nach Impro aussieht. Ich will, dass die Leute auf der Bühne locker sind. Wenn etwas nicht klappt – scheiß drauf. Aber improvisiert wird trotzdem nicht: Alle Schauspieler haben Text, den sie auswendig gelernt haben. Auch die Tänzer mussten das, zum Beispiel Khaled Chaabi, der Breakdance-Weltmeister. Fiel ihm ein bisschen schwer, aber mit Schauspielvollprofis zu arbeiten hätte mich nicht genug herausgefordert. So hatte ich vor dem Ensemble eine Doppelrolle: Kumpel und Diktator. Keine Ahnung mehr, wie oft ich bei den Proben durchgedreht bin. Da ist schon einiges kaputtgegangen!

Das heißt: Auch in der Bühnenversion Ihres Lebens geht einiges zu Bruch?

Nein, da gehen nur Menschen kaputt. Es geht um Jugendliche auf der Straße, die sich langweilen. Die sitzen in der Ecke und bohren sich fast eine Stunde lang in der Nase. Ich zeige Langeweile als aufregende Langeweile, weil letztendlich da natürlich trotzdem was zwischen den Figuren passiert – Aggression, Freundschaft, Unverständnis. Musikalisch gibt es Sachen aus der südtürkischen Sufistadt Konya, wo ich herkomme, wir arbeiten aber auch mit Hip-Hop, Metal, mit Gedichten von Nazim Hikmet und Texten von den Böhsen Onkelz: ein Mix aus meinem Leben eben.

Und was erzählt dieser Mix? Gibt es eine narrative Linie?

Die Linie ist: ankommen, leben, Ziele, Enttäuschungen, sterben – und kotzen. Eigentlich aber ist es ein sehr ruhiges Stück – da darf man sich nicht täuschen. Ich habe keine Lust auf zwei Stunden Rumgebrülle. Eigentlich würde ich gerne jemanden nur vier Stunden herumsitzen und sich langweilen lassen. Aber ich hasse diese langen Castorf-Stücke. Ich mag doch lieber die Asozialen dieser Welt.

Also doch die Straße, die Gang, den Kiez, das Ghetto?

Nein, aber dieses Klischee erwartet das Theater von mir: Yo, Kanake! Aber das bin ich nicht, und das Stück ist so nicht. Ich fühle mich oft wie in einem Affenzoo – die Leute vom Theater wollen von außen in den Käfig starren. Die wollen einfach nicht, dass ich Kunst mache, die wollen nicht, dass hier Leute ruhig miteinander sitzen und sich Texte erzählen, über Vergangenheit und Zukunftsängste. Die wollen Spektakel.

Also würden Sie sagen, dass es in Ihrem Stück gar nicht um Kids mit migrantischem Hintergrund aus der zweiten Generation geht …?

Schrecklich! Ich kann es nicht verstehen, warum die Leute, die solche Festivals machen, immer wieder betonen müssen, dass man ein beschissener fucking Migrant ist. Ich bin kein Migrant, ich bin kein Ausländer, ich bin ein Berliner! Es nervt mich, dass sich so viele immer wieder selbst in diese Ecke drücken: Migrantenkunst, Ethnokunst, Kanakenkunst. Sollen doch die Leute von Kanak Attak ihren Sitzkreis machen und auf ihrer Theorie rumwichsen. Ich bin jemand, der auf die Straße geht, sich da ein paar Leute holt und mit denen ein Stück macht. Das ist aber kein Ghettotheater.

Sondern?

Darstellende Kunst mit vielen Brüchen. Ich bin seit 30 Jahren knallhart straight edge. Es macht mich sauer, wenn Jugendliche mit Bierflaschen auf der Straße rumhängen, kiffen und wirken, als hätten sie schon ihre Midlifecrisis. Ich möchte alle am liebsten an den Schultern packen und ins Theater schleifen und ihnen sagen: Macht was aus euch! In der Beziehung bin ich mittlerweile eigentlich ein richtig rechter Deutscher.