: Rock ’n’ Roll: zehn Gebote und so
MUSIKER-AUTOR Der australische Singer-Songwriter Robert Forster veröffentlicht eine Sammlung seiner äußerst kurzweiligen journalistischen Texte
VON RENÉ MARTENS
Dass Musiker nebenbei journalistisch tätig sind, ist nicht ungewöhnlich. Hierzulande trifft das etwa für Jens Friebe und Andreas Reihse (Kreidler) zu. Robert Forster, Gründungsmitglied der Go-Betweens, die er 2006 nach dem Tod seines Bandpartners und Freunds Grant McLennan auflöste, ist dennoch eine Ausnahme. Es dürfte keinen Musiker von vergleichbarem Renommee geben, der kontinuierlich als Journalist arbeitet und dabei sogar Preise eingeheimst hat. 2006 wurde er in Australien als „Kritiker des Jahres“ ausgezeichnet.
Forster schreibt seit 2005 für das damals gegründete australische Politik- und Kulturmagazin The Monthly. Nennenswerte Erfahrung auf dem Gebiet konnte er damals nicht vorweisen, aber ein Redakteur hielt ihn aufgrund seines musikalischen Wirkens für geeignet. In dem Buch „The 10 Rules of Rock and Roll“ sind nun Texte versammelt, die seitdem erschienen sind.
Ein Schwerpunkt von Forsters journalistischem Schaffen sind Artikel über Singer-Songwriter beiderlei Geschlechts. Neben seiner Vorliebe für – beispielsweise – obskure, zeitweilig vergessene Folksängerinnen wie Karen Dalton, Sibylle Baier oder Vashti Bunyan, kommt bei Forster, der bei der Auswahl seiner Themen für The Monthly freie Hand hat, oft auch das Interesse an jüngeren Rockbands zum Ausdruck. Dass er sich voller Sympathie beziehungsweise sogar euphorisch über Franz Ferdinand und Vampire Weekend äußert, ist kein Wunder, weil diese Bands ihre Wurzeln in Forsters musikalischer Aufbruchphase haben und sich – unter anderem – auf den Sound des schottischen Labels Postcard beziehen, auf dem für sehr kurze Zeit auch die Go-Betweens zu Hause waren.
Forster – seit 2008 solo unter seinem Namen aktiv, wie auch schon während der zwischenzeitlichen Auflösung der Go-Betweens in den 90er-Jahren – schreibt also genau über die Künstler, die man angesichts seiner Musikerlaufbahn erwartet. Obwohl elektronische Musik, welcher Art auch immer, in diesem Sammelband überhaupt nicht vorkommt (was völlig in Ordnung ist; niemand erwartet von ihm brillante Einsichten über Dubstep), ist er beileibe nicht frei von Überraschungen. Eine davon ist die These, das dritte und vierte Album der Monkees, 1967 erschienen, nachdem die Gruppe ihre Casting-Band-Phase beendet und sich die künstlerische Kontrolle über ihre Platten erkämpft hatte, hätten rockgeschichtlich eine ähnliche hohe Bedeutung wie das Debüt von Velvet Underground.
In einem Artikel über einen Reunion-Auftritt der australischen Punklegende The Saints dient das Genre des Konzertberichts, in dem schöpferische Schreiber-Höchstleistungen rar sind, dazu, die Geschichte der Band aufzublättern und das Spannungsverhältnis der beiden Protagonisten Chris Bailey und Ed Kuepper auf eine Weise zu erzählen, von der auch gefesselt sein dürfte, wer The Saints und ihre Nachfolgeprojekte bisher nur am Rande wahrgenommen hat. Die Qualität des Textes rührt möglicherweise auch daher, dass Forster hier rund 15.000 Zeichen zur Verfügung hatte – nicht gerade die übliche Konzertkritiklänge.
Ein weiteres Lehrbeispiel für kreativen Musikjournalismus ist der Text „An Afternoon at Rough Trade“, eine persönliche Würdigung der Londoner Plattenladen-Institution, verknüpft mit einer Sammelbesprechung aller fünf Platten, die Forster an jenem Nachmittag gekauft hat. Freie Erzähl- und Berichterstattungsformen dieser Art sind in den etablierten Medien leider immer noch selten. Der Versuchung zu widerstehen, Forsters journalistische Beiträge mit seiner Musik zu vergleichen, ist nicht leicht, denn die für „10 Rules …“ ausgesuchten Beiträge sind ähnlich schmissig und einnehmend wie Go-Betweens-Songs.
Die beiden persönlichsten Artikel haben Grant McLennans Tod zum Thema. Über den letzten Besuch im Haus seines Freunds schreibt Forster, er habe just an jenem Tag, als er beim Weggehen einen Blick auf den Briefkasten warf, entdeckt, dass McLennan die Literaturzeitschrift New York Review of Books abonniert hatte: „Als ich zu meinem Auto ging und einstieg, fragte ich mich, wie viele Singer-Songwriter oder Rockstars weltweit das New York Review of Books abonniert hatten. Nicht viele, dachte ich. Vielleicht bloß einer.“ Der Titel des Buchs ist im Übrigen die Überschrift eines Beitrags, der keineswegs ein Manifest sein soll. Vielmehr handelt es sich um zehn lockere, aber auch nicht komplett unernste Thesen, von denen sich jeder eine Vorstellung machen kann, der einmal erlebt hat, wie Forster auf der Bühne nonchalant und humorvoll zwischen den Songs mit dem Publikum kommuniziert. „Die Band mit den meisten Tattoos hat die schlechtesten Songs“, lautet eine seiner „Regeln“, „Der vorletzte Song eines Albums ist immer der schwächste“ eine andere. Go-Betweens-Exegeten dürfen nun darüber diskutieren, ob Letzteres auch für die Band zutrifft, deren Ausfallquote bemerkenswert gering ist. Ich glaube ja. Die Ausnahme von der Regel ist „Before Hollywood“, die zweite Platte.
■ Robert Forster: „The 10 Rules of Rock and Roll. Collected Music Writings/2005–09“, Black Inc., Melbourne 2010, 274 Seiten, zirka 28 US-Dollar