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Archiv-Artikel

Editorial

Evangelische Kirchentage sind stets ein Gradmesser gesellschaftlicher Stimmungen gewesen – und der 34. in Hamburg, der Mittwoch beginnt, wird keinen Unterschied machen. „Soviel du brauchst“ lautet das Motto dieser größten religiösen Laienversammlung der Republik – und es kommt keiner wohlfeilen Weissagung gleich, geht man davon aus, dass in den Foren, Workshop und Bibelarbeiten auf diesem Fest des Glaubens vor allem über Gerechtigkeit und Gerechtigkeitslücken debattiert wird. Über Arbeitslosigkeit oder Verhältnisse, die mit Lohnarbeit bestritten werden und doch nicht zum Leben reichen; über die Gier der Reichen, die am liebsten keine Steuern bezahlen würden, und über Oasen irgendwo in der Welt, wo sie ihr Geld am liebsten vor Entdeckung unterbringen. Kirchentage haben oft, schaut man eher nur flüchtig auf die Menschen, die ihn besuchen, ein freundliches Antlitz. Man hört Menschen singen, man macht sich, außenständig, lustig über Jugendliche in kurzen Hosen und in Posaunenchören.

Man täusche sich nicht: Von Kirchentagen sind stets Impulse für eine andere Politik ausgegangen – hier sind die Atmosphären für Veränderung entwickelt worden. Stimmungen, die dies artikulierten: Das bessere Leben mag im Jenseits verheißen sein, aber was nützt das, wenn im Diesseits das Leben unsicher ist? Das war 1981 in der Zeit der Friedensbewegung so, das war so in puncto Aussöhnung mit Osteuropa, in der Ökologie – und im Hinblick auf Genderfragen.

„Soviel du brauchst“ übersetzt die taz als „Soviel wir brauchen“: Das Team der taz wird mit KollegInnen aus Berlin, der taz-Akademie und der taz.nord umfassend berichten, hier in der Zeitung, fast rund um die Uhr auch auf taz.de. Aus Hamburg reportieren wir, wie es wirklich zugeht auf den 1.-Mai-Festen, den traditionell gewerkschaftlichen, den autonomen. JAN FEDDERSEN