TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Arbeit ist und bleibt Folter
Oskar Lafontaine zieht sich zurück. Je mehr die Presse ihn hasste, desto mehr musste man ihn mögen. Eine Regel, die mehr ist als bloß ein alltagstauglicher Kompass.
Zwar orientiert sich Lafontaines Politik noch immer am weißen, männlichen Industriearbeiter, aber ohne ihn wird das intellektuelle Niveau einer Politikerrunde nicht mal mehr Zimmertemperatur erreichen, auch wenn Lafontaine eine alte Arbeitsmoral propagiert, eine Krätze, an der die linke Politik in ganz Europa krankt. So will „Die Linke“ etwa „Gute Arbeit für alle“ – und das klingt wie eine Drohung.
Lohnsteigerung und Mindestlöhne sind in Zeiten, in denen man in den Volkswirtschaften mit hochgekrempelten Ärmeln elendig vereint zur absoluten Mehrwertproduktion – also Arbeitszeitverlängerung – zurückkehrt, freilich nicht das Schlechteste.
Eine Rückkehr übrigens, die, wie Robert Menasse in seinem neuen Essayband „Permanente Revolution der Begriffe“ (Suhrkamp, 2009) feststellt, seit den Nazis nicht mehr gewagt wurde.
Hält man sich an die Etymologie des französischen Wortes für Arbeit, dann ist sowieso klar: Arbeit ist Folter, weil sich travail von Trepalium ableitet, einem frühmittelalterlichen Folterinstrument aus drei Pfählen. So ist nur folgerichtig, dass die Situationisten, die im Mai 68 eine wesentliche Rolle spielen sollten, das „Ne travaillez jamais“ – „Arbeitet nie“ – zu ihrer Losung machten, mit der man sich von allen Parteien unterschied.
Das hat nichts mehr zu tun mit dem Berufungsmythos heutiger Kreativalternativer, die in prekärer Selbstverwertung die Avantgarde der totalen Vermengung von Arbeit und Leben sind.
Ein neues Plädoyer gegen die Arbeit muss her, um, wie Menasse schreibt, endlich mal wieder klarzustellen, dass man Freiheit nicht von der Arbeit ableiten kann, sondern von der Notwendigkeit der Befreiung von Arbeit.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz Foto: privat