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Archiv-Artikel

„Das LSD ist zu mir gekommen“

Am 19. April 1943 kommt ein Schweizer Chemiker zufällig mit einer Substanz in Berührung, deren Wirkung nicht nur sein eigenes Bewusstsein nachhaltig beeinflussen wird: LSD. Ein Gespräch mit Albert Hofmann, der heute 100 Jahre alt wird

Interview MATHIAS BRÖCKERS

taz: Was uns alle am meisten interessiert: wie man 100 Jahre alt wird. Welche Methoden – oder Tricks – haben Sie angewendet, um ein solches Alter zu erreichen und so rege und geistig wach zu bleiben? Hat auch das LSD dabei eine Rolle gespielt?

Albert Hofmann: Ich müsste zwei Leben haben, um das zu beantworten: eines mit und eines ohne LSD – dann könnte man das wissenschaftlich beurteilen. So kann ich das ja nicht. In meinem LSD-Buch „LSD – Mein Sorgenkind“ steht ja am Anfang dieses mystische Naturerlebnis als Kind, das ja absolut einem LSD-Erlebnis glich, dieses Einssein mit der Natur. Irgendwie, glaube ich, war mir das angeboren.

Sie haben ja schon öfter gesagt, und auch in diesem Buch geschrieben, dass Sie das LSD nicht entdeckt haben, sondern dass es zu Ihnen gekommen sei.

Absolut. Das ist tatsächlich so gewesen. Nur weil ich, und ich weiß bis heute nicht wie, beim Herstellen der Substanz damit in Kontakt kam, habe ich die Wirkung bemerkt. Und bin dann nach Hause, habe mich hingelegt und hatte diese wunderbaren Träume – alles, was ich mir dachte, sah ich im Bild. Ich überlegte, mit was ich im Labor zu tun gehabt hatte.

Und?

Das Lysergsäure-Diethylamid hatte ich ja nur umkristallisiert und nichts davon eingenommen, und du arbeitest doch absolut sauber, dachte ich mir – wenn es das gewesen sein sollte, müsste es ja geradezu saumäßig wirksam sein. Als ich Montag wieder im Labor war, nahm ich dann die kleinste Menge davon ein, die man sich überhaupt denken kann – und das war, wie sich später herausstellte, noch fünfmal zu viel und brachte mich dann auf einen Horrortrip.

Das war die Entdeckung von LSD?

Dazu kann ich nur sagen: das LSD hat mich gerufen, ich habe es nicht gesucht. Es ist zu mir gekommen, es hat sich gemeldet.

Ein paar Millionstelgramm LSD verändern die Wahrnehmung dramatisch …

Es ist nicht nur einfach das bekannte Bild, ein bisschen verzerrter oder bunter, es ist ein völlig anderes Programm. Und das deshalb, weil LSD unsere Sinne verändert, man sieht besser, man hört besser, alles wird intensiviert – insofern hatte auch Timothy Leary Recht, wenn er behauptet, es sei auch das größte Aphrodisiakum. Der Mechanismus des LSD ist ganz einfach: die Tore der Wahrnehmung werden geöffnet und wir sehen plötzlich mehr – von der Wahrheit.

Und das ist manchmal sehr verwirrend.

Ja, man erschrickt. Man hat ein völlig anderes Bild, und das kann einen furchtbar erschrecken. Deshalb sagen die Indianer ja: bevor ich den heiligen Pilz nehme, muss ich fasten, muss beten, muss rein sein – dann bringt mich der Pilz dem Göttlichen näher. Und wenn ich das nicht mache, tötet er mich oder macht mich wahnsinnig. Das haben die Indianer gesagt – und die amerikanische Jugendbewegung, die es ja gut meinte, hat sich daran nicht gehalten, sie haben es zu oberflächlich genommen, sie haben sich nicht vorbereitet.

Tim Leary und seine Kollegen in Harvard, Ralph Metzner und Richard Alpert, haben auf die Wichtigkeit von „Set & Setting“ hingewiesen und das alte Ritualwissen gewissermaßen in die Neuzeit transportiert.

Aber Leary hat LSD gleichzeitig auch, typisch amerikanisch, angepriesen wie ein Wanderprediger oder Handelsvertreter. Er hat es ja jedem geradezu aufgedrängt – etwas, was ich nie getan habe. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Menschheit lernen wird, damit umzugehen in Zukunft.

Arthur Koestler, ein Freund von Aldous Huxley, hat sich einmal kritisch geäußert und LSD mit einem Skilift verglichen.

Ja, die Geschichte mit dem Bergsteiger, der zu Fuß zum Gipfel aufsteigt, der den Berg erobert, und dem anderen, der einfach mit dem Lift hinauffährt. Nach Koestlers Ansicht muss man all die Qualen auf sich nehmen, um das richtige Gipfelerlebnis zu haben – aber Huxley erwiderte, dass die Aussicht dieselbe sei.

Wie sehen Sie das?

Man muss schon wandern. Man muss sich innerlich vorbereiten, und das allein ist oft schon schwer genug. Viele Leute wissen ja gar nicht, was Meditation ist.

Mit Laura Huxley, der Frau von Aldous Huxley, verbindet Sie eine lange Freundschaft. Sie gab ihrem Mann, als er starb, auf seinen Wunsch LSD. Huxley benutzte es sozusagen zum Übergang in einen anderen Bewusstseinszustand, er war überzeugt, dass die Seele nach dem Tod weiterlebt. Wie stehen Sie zu dieser Art von LSD-Verwendung, gewissermaßen als Sterbehilfe?

LSD wurde schon vor Jahrzehnten in dieser Richtung verwendet, bei sterbenden Krebskranken, wo selbst Morphine nicht mehr gegen die Schmerzen wirkten. Ich bin überzeugt, dass das künftig auch ein Thema werden wird. Irgendwann hat jemand Ernst Jünger gefragt: „Glauben Sie, dass das Leben nach dem Tod weitergeht?“, und er antwortete: „Nein, ich weiß es!“ Und das kann man auch als Naturwissenschaftler verstehen: Nichts kann aus dem Nichts entstehen. Und aus etwas, was ist, kann nicht Nichts werden – es gibt nur Umwandlungen. Wir können nicht sagen, woher wir kommen – dass irgendeine Supermaterie am Anfang stand und dann knallte und den Raum erzeugte, das ist doch alles dummer Mist. Darüber wissen wir nichts, das ist das große Wunder. Aus unseren Erfahrungen können wir nur sagen: Es gibt nichts, das aus Nichts entsteht, und nichts, das zu Nichts zerfällt. Es gibt immer nur den Wandel. Und wenn man die Naturwissenschaft und alle ihre Entdeckungen weiter denkt, stößt man immer wieder auf ein Geheimnis.

Ich habe unlängst eine CD mit den Vorträgen Einsteins gehört, dort spricht er auch darüber, und er sagt wörtlich, ich habe mir den Satz gut gemerkt: „Das Schönste und Tiefste, was ein Mensch erfahren kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen.“

In den ersten zehn Jahren nach seiner Entdeckung galt LSD, unter dem Arzneinamen „Delysid“, als wahres Wundermittel in der Psychotherapie. Dann kam das Verbot, die Dämonisierung als Teufelsdroge – und jetzt scheint das Pendel wieder zurückzugehen, zu größerer Akzeptanz. Selbst an der Harvard- Universität finden wieder LSD-Studien statt.

Ja, das habe ich verfolgt. Es ist sicher ein Wandel. Vor allem weil man entdeckt hat, dass diese Pflanzen, in denen man schon vor 3.000 Jahren Stoffe wie LSD oder Psilocybin gekannt und benutzt hat, mit den Substanzen in unserem Gehirn, wie Serotonin, sehr eng verwandt sind. Die Pflanzen geben uns Nahrung, sie geben uns Heilmittel und sie geben uns auch Medikamente für das Bewusstsein. Die Pflanze produziert aus dem Sonnenlicht unsere Nahrung und unsere Atemluft. Und unser Bewusstsein ist letztlich nichts anderes als die höchste Umwandlung dieser Sonnenenergie. Wir sind Sonnenkinder!

Warum das?

Unsere menschliche Energie ist Sonnenenergie – entstanden aus dem Atomreaktor, den der Herrgott genügend weit weg gesetzt hat, dass er uns nicht gefährlich werden kann. Nur das Gute kommt von der Sonne, der Ballast, der Atommüll bleibt oben – nur der Mensch, dieser Idiot, glaubt, er müsste die Sonne auf die Erde holen und hier Atomkraftwerke bauen. Es ist Prometheus, der den Menschen sagt, dass sie die Sonne nicht brauchen und er ihnen das Feuer vom Himmel holt – und für diesen Übermut wird er von Zeus bestraft und muss unendliche Schmerzen erleiden, weil er den Schöpfer beleidigt hat. In diesem Mythos ist schon alles erzählt – die Griechen waren ein geniales Volk. Doch die Menschheit ist dabei, sich mit diesem Geschenk des Prometheus selbst zu eliminieren, mit dem Feuer aus Öl und Kohle das Klima und die globalen Kreisläufe zu ruinieren und mit Atomkraft Leben auf Jahrtausende zu vernichten. Als ich in einem Buch einmal über den „Atomreaktor Sonne“ geschrieben habe, erhielt ich eine Einladung von Atomphysikern, darüber einen Vortrag zu halten. Die wussten das ja alles schon, aber sie hatten dieses ganz Einfache aus dem Blick verloren, sie konnten es nicht formulieren.

Sollen wir vielleicht mal eine Pause machen?

Wie ihr wollt. Ich hab den Tag für euch reserviert und stehe zur Verfügung. Aber wir müssen auch unbedingt noch einmal raus! Ich will euch ja mein Paradies zeigen, da müsst ihr auch noch Aufnahmen machen. Die Rittimatte hier war ja die wichtigste Entdeckung in meinem Leben überhaupt.

Siehe auch: Detlef Kuhlbrodt über „Die Drogentristesse der Steppenwölfe“, im Kulturteil.Das Interview führten Mathias Bröckers und Roger Liggenstorfer im August 2005. Das ganze Gespräch erscheint, ungekürzt und unredigiert, in ihrem Buch „Albert Hofmann und die Entdeckung des LSD“ (AT-Verlag).