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Archiv-Artikel

„Kurz: Alles wird noch besser“

Wie sieht Berlin in zehn Jahren aus? Das Stadtschloss steht. Die Hauptstadt ist schuldenfrei. Und sie liegt in einem geeinten Bundesland Berlin-Brandenburg. Klaus Wowereit erklärt seine Zukunftsvision

Interview MATTHIAS LOHRE und ULRICH SCHULTE

taz: Herr Wowereit, wir geben Ihnen eine Chance.

Klaus Wowereit: Ah ja.

Ja. Der rot-rote Senat kann zwar sparen, mit Visionen hat er sich bisher zurückgehalten. Jetzt können Sie erklären: Wie sieht Berlin in zehn Jahren aus?

Erst mal finde ich es gut, dass die taz davon ausgeht, dass Klaus Wowereit im Jahr 2016 noch Regierender Bürgermeister ist …

Das haben wir nicht gesagt …

… oder zumindest die Früchte unserer Arbeit dann in der Stadt deutlich erkennbar sind.

Und die wären?

Wenn ein Besucher im Jahr 2016 nach Berlin kommt, wird er eine vervollständigte historische Mitte vorfinden: Der Leipziger Platz ist fertig bebaut. Das Stadtschloss steht. Berlin wird noch internationaler, vielsprachiger und kreativer sein als heute. Im Herzen Europas – übrigens in einem geeinten Bundesland Berlin-Brandenburg – wird eine Metropole stehen, die auch international wahrgenommen wird. Kurz: Alles wird noch besser.

Das kann man durchaus als Vision bezeichnen. Oder aber als „einfach mal eben so dahingesagt“.

Das ist das Grundproblem bei Visionen. Sie zu benennen, ist relativ leicht. Sie in Realität umzusetzen, ist tägliche harte Arbeit.

Eines ihrer Zukunftsprojekte heißt: den Wissenschaftsstandort Berlin stärken. Gleichzeitig kürzen Sie die Zuschüsse für die drei Universitäten bis 2009 um 75 Millionen Euro.

Wir sparen aber nicht an der Qualität der Wissenschaft, sondern bei der Struktur. Ein Beispiel: Wenn wir die Erziehungswissenschaften von der Technischen Universität an die Freie und die Humboldt-Universität verlagern, schwächen wir den Wissenschaftsstandort nicht, wir stärken ihn.

Eine Vision klingt anders.

Meine Vision für das Jahr 2016 sind weitere 50.000 Studienplätze. Auch in zehn Jahren werden junge Menschen gern in diese Metropole kommen um zu studieren. Finanziert werden die Studienplätze gemeinsam von Bund und Ländern, weil Berlin allein nicht noch mehr Plätze ausstatten kann.

Gibt es in zehn Jahren Studiengebühren in Berlin?

Beide Koalitionsparteien haben sich dagegen ausgesprochen. Ob das noch gilt, falls es in zehn Jahren in 15 von 16 Bundesländern Studiengebühren gibt, ist eine andere Frage. Ich finde sie nur vertretbar, wenn den Unis das Geld voll erhalten bleibt und die internen Hochschulstrukturen dem Rechnung tragen. Die Universitäten müssten sich mehr als Dienstleister verstehen.

Damit sind wir wieder beim Thema Geld.

Nein. Wenn man Visionen verwechselt mit „mehr Geld ausgeben“, ist man in der Politik falsch. Viele Politikfelder haben mit Geldausgeben nichts zu tun: Ein Lebenspartnerschaftsgesetz, das gleichgeschlechtliche Paare auch steuerrechtlich anderen Paaren gleichstellt, kostet wenig.

Aber ohne Geld geht nichts. Auf den Haushalt drücken 60 Milliarden Euro Schulden. Daran werden Sie auch künftig bei keiner Entscheidung herumkommen.

Bis 2016 haben wir unsere haushaltspolitischen Aufgaben längst erledigt. Die Klage auf Bundeshilfen vor dem Bundesverfassungsgericht wird greifen, dann wird uns bei der Entschuldung Berlins geholfen worden sein.

Dass Bund und Länder Milliardensummen an die Hauptstadt überweisen werden, ist noch lange nicht sicher.

Jetzt müssen Sie sich mal entscheiden. Entweder wollen Sie von Visionen für 2016 reden oder von der Realität.

Visionen, die keine Chance auf Realisierung haben, bringen Berlin aber nichts.

Sie lassen sich verwirklichen. Schon im kommenden Jahr werden wir einen ausgeglichenen Primärhaushalt präsentieren können. Geringere Zinszahlungen, stärkeres Wirtschaftswachstum und die Rolle einer mitteleuropäischen 3,4-Millionen-Einwohner-Metropole – das alles wird dazu beitragen, dass wir uns bis 2016 entschulden können.

Wird Berlin in einem Jahrzehnt vom Tourismus leben, und sind alle anderen Wirtschaftsbereiche dann nur noch Beiwerk?

Zumindest wird der Tourismus ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor sein. Die Stadt wird ganz stark von Dienstleistungen geprägt sein. Von Wissenschaft, Forschung und Technologie. Der klassische Industriearbeitsplatz wird – in Berlin wie in ganz Deutschland – viel seltener werden. Einfach deswegen, weil in Ländern wie China und Indien zu Bedingungen produziert werden kann, die es in Mitteleuropa nicht gibt. Aber viele Industriearbeitsplätze gibt es in der Stadt ohnehin nicht mehr. Für Geringqualifizierte in Berlin wird es deshalb vor allem Jobs im Dienstleistungsbereich geben.

Haben Sie die Hoffnung verloren, dass große Konzerne nach Berlin ziehen werden?

Auf jeden Fall wird eine neue Managergeneration heranwachsen, die in Berlin studiert hat. Sie werden eine besondere Affinität zur Stadt haben. Mit ihnen werden auch kleine Firmen hierher ziehen.

Berlin als Hauptstadt für Garagen- statt Weltunternehmen?

Es wird beides geben, und jeder Arbeitsplatz zählt. Aber weil die Stadt die traditionellen Produktionsstätten nicht mehr hat und nicht wieder bekommen wird, ist Berlin auf kleinere Unternehmen mit bis zu eintausend Arbeitnehmern angewiesen. Im Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof und in Buch versuchen wir ja, Forschung und Anwendung zu kombinieren.

Müssen wir uns in Berlin auf lange Zeit mit einer hohen Arbeitslosenquote abfinden, wie Ihr Finanzsenator Thilo Sarrazin gesagt hat?

Natürlich müssen wir akzeptieren, dass wir den Arbeitslosigkeits-Sockel nicht von heute auf morgen verringern können. Trotzdem muss unser Ziel sein, diesen Sockel so klein wie möglich zu halten. Kombilöhne können dabei helfen. Arbeitslose Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt als nicht vermittelbar gelten, können in Sozialeinrichtungen, Kiezprojekten oder Umweltverbänden wertvolle Arbeit leisten. Im industriellen und gewerblichen Bereich halte ich das Instrument aber für problematisch – Kombilöhne können hier richtige Jobs verdrängen.

Sie fordern neuerdings eine „Mentalität des Gelingens“. Gehören dazu auch Volksbegehren auf Landesebene?

Teilhabe ist immer wichtig, um die Menschen bei gesellschaftlichen Entwicklungen mitzunehmen. Wir haben plebiszitäre Elemente auf bezirklicher Ebene eingeführt, die müssen erprobt werden. Auf Landesebene gibt es ja solche Instrumente schon …

Mit so hohen Hürden, dass kaum eine Bürgerinitiative sie nehmen kann.

Zugegeben, die Quoren sind hoch. Volksbegehren müssen die Balance halten zwischen Querulantentum, das jede Entscheidung aus nichtigen Gründen in Frage stellt, und richtiger Partizipation. Im Quorum muss erkennbar sein, dass es ein Anliegen von vielen ist. Einzelne dürfen politische Entscheidungen nicht umdrehen können.

Werden die Hürden für Begehren im Land noch bis zur Abgeordnetenhauswahl gesenkt?

Im Moment arbeiten die Fraktionen an einer Lösung. Ich denke, es gibt eine große Chance, da noch in dieser Legislaturperiode zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.

Wirklich? Die Fraktionsspitze der SPD sieht das anders.

Die Frage ist natürlich, ob man sich unter Zeitdruck noch auf vernünftige Punkte einigen kann. Ich denke, das ist möglich. Klappt es nicht, müssen wir das in der nächsten Legislaturperiode anpacken.

Die Umfragen stehen gut für Rot-Rot. Die Linkspartei profiliert sich mit Milderungen der Hartz-IV-Reformen. Muss die SPD ihr linkes Profil schärfen?

Den Eindruck habe ich nicht. Wir haben notwendige, harte Einschnitte gemacht, aber dennoch eine soziale Balance gehalten. Die Einsparungen sind unausweichlich, gerade um soziale Leistungen weiterhin finanzieren zu können. Wer nicht begriffen hat, dass man manchmal 5 Prozent einsparen muss, um 95 Prozent am Leben zu halten, hat die heutige Welt noch nicht begriffen – auch Haushaltspolitik ist Sozialpolitik.

Rot-Rot hat sich in der Macht eingerichtet. Man hat den Eindruck einer bräsigen Selbstverständlichkeit.

Wo sehen Sie das? Was richtig ist: Es ist überhaupt kein Thema mehr, dass die PDS an der Regierungsverantwortung ist. Das hat sich auch in Westberlin, in konservativen Kreisen als Thema erledigt. Das ist der signifikante Unterschied zwischen dem Anfang und dem Ende der Legislaturperiode. Im Januar des Jahres 2002 gab es ein massives Störfeuer in der Presse, auch mit persönlichen Diffamierungen. Insofern bin ich zufrieden, dass sich unsere Einschätzung als richtig erwiesen hat.

So wie die Umfragen stehen, sind Sie auch der künftige Regierende. Mit wem?

Ich kämpfe dafür, dass die SPD den Regierungsauftrag wieder erhält. Wir haben in der rot-roten Koalition erfolgreich gearbeitet, wenn der Wähler es will, setzen wir das fort. Eine funktionierende Koalition stelle ich nicht in Frage. Ich schließe aber auch eine Koalition mit den Grünen überhaupt nicht aus, zwischen den Parteien gibt es eine Menge inhaltlicher Schnittmengen.

Wie sehen Sie die Kabbelei zwischen Linkspartei und WASG?

Ach, das macht mir wirklich keine Sorgen …

Sie hätten potenzielle Linksrebellen in den Regierungsfraktionen sitzen.

Aber numerisch gesehen verändert sich bei der PDS ja kaum etwas – vorausgesetzt, sie schaffen die Vereinigung. Ich habe keinen Anlass zu glauben, dass die WASG die Regierungsfähigkeit der Linkspartei beeinträchtigt. Wie die mit Doppelmitgliedschaften, Unterwanderung oder sonst wie ihre Fusion lösen, ist nicht mein Problem.

Ein paar Worte zur Weltmeisterschaft. Wird die Fanmeile tatsächlich schwarz von Menschen sein? Wir glauben nicht recht daran.

Das hoffen wir natürlich. Ob sich die Hoffnung erfüllt, weiß im Moment niemand. Berlin kann sehr viele Menschen mühelos aufnehmen, das haben wir beim Ökumenischen Kirchentag gesehen. 200.000 Leute fallen auf, dominieren aber nicht die Stadt. Natürlich wird die Fanmeile heiße und laue Tage erleben – bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft wird’s voll werden.

Was ist Ihr Tipp für Deutschland?

Die Bundeskanzlerin hat ja die Linie vorgegeben: Wenn die Frauen es geschafft haben, warum sollen die Männer es nicht auch schaffen?

Eine schöne Vision. Kann, was für eine Frau gilt, auch für Sie gelten, zum Beispiel in Bezug aufs Kanzleramt?

(Lacht) Ich glaube nicht, dass das mit irgendwelchen Geschlechtsspezifika zu tun hat.

Im Ernst: Sie haben einen harten Sparkurs gefahren, die CDU liegt am Boden. Wird Ihnen Landespolitik nicht langsam langweilig?

Na ja, am Boden ist keiner. Politik ist schnelllebig heutzutage, wir müssen weiter für jedes Prozent kämpfen. Insofern bleibt es im Land spannend. Im Bund zeigt sich ja der große Einfluss der CDU-Ministerpräsidenten. Und je weniger SPD-Länderchefs es gibt, desto wichtiger wird jeder einzelne von ihnen. Deshalb machen Sie sich um meine Rolle im Bund mal keine Sorgen.