: Sensation der Silhouette
Leopardenprints bei Prada, lange Unterhosen bei Dolce & Gabbana, voluminöse Jacketts bei Jil Sander: Wie die Männermode im nächsten Winter ausfällt, wurde in Florenz und Mailand gezeigt
VON KATRIN KRUSE
Auf dem kleinen Papierfähnchen ist zu lesen: „This invitation is strictly personal“ – aber es steht kein Name darauf. Es kommt wohl auf den Begriff an, den man sich vom Persönlichen gemacht hat. Seit der belgische Designer Martin Margiela 1989 seine erste Kollektion zeigte, hat er sich weder fotografieren lassen noch direkte Interviews gegeben. Stets tritt er zurück hinter dem Maison Martin Margiela. Von „wir“ ist die Rede und vom Team; Margiela selbst bleibt unsichtbar, und wenn er jetzt, als eingeladener Designer des Pitti Immagine Uomo, der größten Herrenmodemesse in Florenz, seinerseits zu einer Präsentation lädt, dann ist es wohl nur konsequent, dass ein identisches Einladungsfähnchen für alle Eingeladenen gleichermaßen gilt.
Man eilt also die Stufen zum Teatro Puccini hinauf, einem Kino aus den Dreißigerjahren, das jetzt als Theater dient und das Margiela erneut zum Kino gemacht hat; man nimmt auf den roten Samtsitzen Platz, geschmeidig schwebt ein verspäteter Besucher nach dem anderen die kleine Anhöhe hinauf, die große Leinwand schenkt auch den weniger markanten Gesichtern gnädige Schwarz-Weiß-Kontraste. Die Models fahren mit weißen Vespas und weißen Stretchlimousinen vor, laufen von der Leinwand in den Saal hinein, sie tragen Entwürfe der letzten Margiela-Kollektionen in allen Schattierungen von Weiß, eine Lederweste wie ein Blätterwald, und trompe l'oeil-Shirts, die vorgeben, ein Hemd zu sein. Weiße Ballons fallen von der Decke und platzen, das Jahr fängt quasi noch einmal an, und Martin Margiela ist natürlich nicht da. Was macht eigentlich Martin?, fragt sich ein belgischer Kollege. Und ist ihm nicht fad, so allein?
Weiß ist die Farbe des Hauses Margiela, es stehe für Unschuld und repräsentiere die Stärke der Fragilität, heißt es dort. Das Gelände der Modemesse, die mittelalterliche Fortezza da Basso, ist also von Margielas weißen Inseln durchsetzt: ein gigantischer weißer Fesselballon, ein Glaskasten mit weißen Stoffrobben, die ein silberner Greifarm je nach Geschicklichkeit des Münzzahlers heraushebt oder fallen lässt, ein Stand mit weißen Candyblumen und was der Memorabilien mehr sind. Dabei dürfte Rafaelo Napoleone, der Messechef des Pitti Uomo, froh sein, dass es ein Ende hat mit der Zerbrechlichkeit der italienischen Modeindustrie. Napoleone spricht noch ein schnelles „Grande dinamismo“ ins Mobiltelefon und lässt die Hand emporsteigen wie ein Flugzeug im Startflug. Nach Jahren des Rückgangs, sagt er dann, seien die Exportraten der italienischen Herrenmodeindustrie wieder angestiegen. Besonders der Umsatz mit Accessoires wächst. Auf Männer mit Taschen darf man gefasst sein.
Die Mode verdankt Margiela den Begriff der Dekonstruktion. Er legte die andere Seite der Mode offen, die Nähte, die offenen Säume und die hängenden Fäden, die andere Seite der schönen Oberfläche, die die Mode herstellt, immer wieder neu. Mittlerweile sind die edgy offenen Kanten in der kommerziellen Mitte angekommen, dort, wo das Witzige, das Pfiffige, das Freche und das Raffinierte als Koordinaten der Mode gelten. Dort heißt es jetzt auch: „Mode soll die Persönlichkeit ausdrücken.“ Höchste Zeit also, dass die Mode und die Persönlichkeit sich für eine gute Weile trennen.
Wie hübsch, dass sich auf den Mailänder Männerschauen, die der Florentiner Messe folgten und am Donnerstag zu Ende gingen, die Tendenz zum Formellen fortsetzt, und wirklich: Im nächsten Winter kommt die Schneiderkunst zurück, bis in den grauen Flanellanzug – Doppelreiher, Kreidestreifen, Weste – hinein. Alexander McQueen zeigte ihn mit einer Taille, die knapp unter dem Brustbein saß. Es gibt eine Tendenz zum groben, also dickwolligen Strick: Zopfmuster bei Gucci, unter Westen als Rollkragen getragen bei Dolce & Gabbana und Oversize bei Prada, kastig und kurz. Es kommen die Beerentöne, vor allem für Pullover, auch Ochsenblut, Burgunder, Mauve und Aubergine. Animalprints wird man sehen, Leoparden bevorzugt.
Der Anzug, der Anzug, das ist eingestandene Uniformität, unabweisbare Sachlichkeit – und dann kommen die feineren Differenzen. Wer einen Anzug macht, arbeitet an der Form, nicht an der unruhigen, möglichst komplexen, individualitätsfixierten Oberfläche. Dass man sich in der Männermode eine neue, und vor allem: eine klare Silhouette herbeiwünscht, mag man an der Begeisterung für die erste Kollektion des belgischen Designers Raf Simons für Jil Sander ablesen. Dass das Haus nach deren erneutem Weggang noch zu retten sei, daran zweifelten die meisten. Sensationell, heißt es jetzt, sei diese neue, rundere Silhouette mit mehr Volumen, die Raf Simons in Mailand zeigte. Bisher war die, im Anschluss an den Dior-Designer Hedi Slimane, knabenhaft schmal: ein wenig so, als sei sie direkt am Körper eingelaufen. Raf Simons hat ein neues Volumen eingeführt, vor allem aber – und das ist möglicherweise viel sensationeller – hat er sich beschränkt: auf wenige Farben, Schwarz, Navy, Grau, Camel und Weiß, auf wenige Stücke. Keine Muster. Keine Accessoires. Er habe das Überflüssige weggelassen und sich auf das Notwendige konzentriert, sagte Simons: auf das Material und die Proportion.
Oversize in der Jacke zu schmalem Hosenbein: Das erste Jackett ist mit einem einzigen, hochsitzenden Knopf geschlossen, von breiten, aber weich überhängenden Schultern fällt es gerade hinab. Mäntel sind zu sehen, so weit, dass zwischen Torso und Ärmeln nicht hindurchzusehen ist, zu schmalen Hosen, die noch schmaler zulaufen. Auch das neue Volumen also setzt einen schmalen Träger voraus. Weiße Hemden, Pullover dazu, ihre einzige Grille ist der um eine zusätzliche Rundung erweiterte Halsausschnitt.
Neues Volumen auch bei Prada, über den Anzügen Strickjacken, die Hosen knöchelkurz und seitlich geschlossen. Oversize der Strick, burgunder-schwarz meliert, die Schultern weit, die Passform kastig. Vergrößerter Leopard auf karamellfarbenen Seidenhemden, fuchsfarbenes Fell auf Vespahelmen. Die Ärmel der Jacketts sind umgeschlagen. Damit mag schon einmal anfangen, wer will. Es sieht albern aus. Aber schließlich gilt es, das Scheußliche durch Übertreibung zu transformieren – so hat Miuccia Prada ihre Arbeitsweise benannt.
Christopher Bailey hat für Burberry den burgunderfarbenen V-Ausschnitt-Pullover in Leopardenprint mit dem tiefsitzenden Nietengürtel und der Pudelmütze zusammengebracht. Knappe, fünfknöpfige Doppelreiher sind zu sehen, dem Herzog von Windsor nachempfunden. Dessen Frau, die Amerikanerin Wallis Simpson, hat einmal den Ausspruch getan, man könne nie zu reich und nie zu dünn sein. Kein Wunder, dass der Kollege im Showroom nicht in die Jacketts kommt. Über den goldenen Steppregenmantel und den paillettengesäumten Ausschnitt am camelfarbenen Kaschmirpullover geht es hin zu schwarzer Fliege zum weißen Rüschenhemd, zu dem also, was Klaus Stockhausen von der GQ als „easy evening“ bezeichnet – und als Trend benennt. Westen werden ohne Jackett getragen, das ist eine weitere Tendenz. Und für die Herrentaschen gilt: Lilafarbene Krokoprägung geht nur als Schultertasche im Wochenendformat. Noch muss sich das Accessoire als Funktionsutensil legitimieren.
Bei Gucci ist ein fünfknöpfiger Doppelreiher aus Samt im Himbeerton zu sehen, und das ist es auch schon gewesen mit dem Anschluss an die letzte Saison: Erinnern wir uns an Dreißigerjahre-Eleganz und weiße Doppelreiher. In dieser Saison ist ein großes Wehen: Schwarze, dreiviertellange Kaschmirmäntel springen ab der Taille in breit plissierten, dramatischen Falten auf, es wehen langes Modelhaar und aus Hintertaschen herausflatternde Seidentücher. Bemerkenswert die wollweißen Musselinhemden mit zur Weste gebundenem Spitzenlatz.
Es sei wohl offensichtlich, heißt es am Ende der Kollektionsbeschreibung von Dolce & Gabbana, dass der von ihnen lancierte Stil zur globalen Uniform geworden sei: Jackett, T-Shirt und sorgsam zerstörte Jeans. Es ist die Uniform, in der die beiden wie immer nach der Schau den Laufsteg nehmen – auf der Höhe der eigenen Kollektion sind sie damit nicht. Hier hat die Wollhose mit den plissierten Bundfalten unter den Taschen die Jeans ersetzt, und das einfache Jackett ist von der Kombination mit Weste abgelöst. Eine asphaltgraue, wollene Bundfaltenhose zum grafitgrauen Doppelreiher mit Kreidestreifen, samt Weste dazu: Wenn das kein Sprung ins Formelle ist. Manchmal fängt am Bund als Jeans an, was wenige Zentimeter später zur Wollhose wird, die Taschen sind noch aus Denim, wie ein letztes Zugeständnis an den alten Look. Es gibt Breitcordhosen zu taubenblauen Samtjacketts, oder weiße Hemden, die – natürlich sind da auch Jeans – in steife, dunkelblaue Raw-Denim-Jeans gesteckt sind, deren tiefgesetzte, reichbestickte Hintertaschen den Eindruck von Bumsters geben. Dabei hängt der Schritt gar nicht zwischen den Knien. Nur die Leibhöhe ist kurz.
Bei D&G ist die Stunde der Long-Johns gekommen. Long-Johns, das sind lange Unterhosen der wärmenden Art, die für gewöhnlich als unerotisch gelten, hier aber mit allem kombiniert werden, was Matrosen, Kapitäne, Dockarbeiter und leichte Kajütenjungen tragen könnten, wenn sie denn das trügen, was man fantasiert. Es gibt Long-Johns only, lang und eng oder Long-Johns mit abgeschnittenen Jeans darüber. Die Long-Johns, das ist klar, sind die Antithese zum Duke of Windsor. Ein Model sieht in grobgestricktem Pullover, Nickelbrille, Wollsocken und mausgrauen Birkenstocksandalen ziemlich radikalökologisch aus. Möglich also, dass im nächsten Winter einzig eines entscheidet, ob man der Mode gewachsen ist: Zeigt man seine Long-Johns, oder zeigt man sie nicht.