„Verknüpfte Lebensläufe“

GESCHICHTE Dokumentarfilm über die Spurensuche zweier ehemaliger Zwangsarbeiter in Hamburg

■ 52, leitete bis 2011 im Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme das Besucherprogramm für Zwangsarbeiter

taz: Frau Hertz-Eichenrode, waren die beiden 80-Jährigen, die Sie 2009 durch Hamburg begleiteten, typische frühere Zwangsarbeiter?

Katja Hertz-Eichenrode: Nein. Pelegaja Mischustina und Igor Litwinow, die 60 Jahre nach Kriegsende erstmals aus der einstigen Sowjetunion nach Hamburg kamen, sind vergleichsweise glimpflich davon gekommen.

Inwiefern?

Frau Mischustina, die die Nazis zusammen mit ihrem Verlobten verschleppt hatten, hat im Barmbeker Lager Burmesterstraße eine Tochter geboren, die sie behalten durfte. Und Herr Litwinow, der im Tempo-Werk schwer arbeiten musste, konnte nach zwei Jahren fliehen. Er ist bei einem Bauern in Hannover-Maschen untergekommen, der ihn nicht auslieferte, sondern als Lehrling aufnahm.

Hat er 2009 auch diesen Bauern aufgesucht?

Er hat gemeinsam mit dem schon betagten Sohn des Bauern dessen Grab besucht. Das war ihm enorm wichtig.

Was genau hat Frau Mischustina damals arbeiten müssen?

Sie arbeitete in der Küche des Lagers.

Wie haben sich beide gefühlt, als sie 2009 zurück nach Hamburg kamen?

Anfangs angespannt, aber keineswegs verbittert angesichts ihrer Zwangsarbeiter-Zeit. Viel schwerer wog die jahrzehntelange Diskriminierung, der sie nach 1945 in der Sowjetunion ausgesetzt waren.

Warum wurden sie dort diskriminiert?

Weil sie als Verräter galten, die für die Deutschen gearbeitet hatten.

Wie äußerte sich das?

Sie konnten weder Schule noch Universität besuchen und daher nur einfache Berufe ausüben. Erst nach 1990 konnten sie offen über ihre Kriegserlebnisse sprechen.

Warum haben Sie 2009 angeregt, der Spurensuche von Frau Mischustina und Herrn Litwinow einen Film zu widmen?

Weil ich die Schicksale interessant fand. Außerdem war ich der Meinung, dass man diese so eng mit Hamburg verknüpften Lebensläufe festhalten und mehr Interessenten zugänglich machen sollte. Der Film wird ja nicht nur von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gezeigt, sondern ist auch als DVD erhältlich.  INTERVIEW: PS

Doku „Zur Zwangsarbeit nach Hamburg“ (Regie: Jürgen Kinter) und Gespräch mit Katja Hertz-Eichenrode: 19 Uhr, Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel, Kritenbarg 8