ZWISCHEN DEN RILLEN
Beim Blues gelandet: der afroamerikanische Protorapper Gil Scott-Heron

Gil Scott-Heron schafft mit seiner Bassstimme auch im Fragmentarischen Aura, Ansprache und Mitteilung

Ganze zwei Alben hat Gil Scott-Heron seit 1984 veröffentlicht. 1994 das viel gelobte „Spirits“ und nun also „I’m New Here“. Neu im Musikbiz ist Gil Scott-Heron also nicht. Im Gegenteil, bei einer Musiker- und Poetenlegende, wie dem inzwischen über sechzigjährigen Afroamerikaner, der sich in den 70er und frühen 80er Jahren im jährlichen Rhythmus auf Platte zu Bürgerrechten, Sozialkritik und Revolution zu Wort gemeldet hat und seine ganz eigene Form von Sprechgesang darbot, lange bevor Rap und HipHop entstanden, weckt ein neues Album große Erwartungen.

Die werden aber nicht bedient, denn Gil Scott-Heron kopiert das Wirken seiner eigenen Vergangenheit auf seinem neuen Werk definitiv nicht. „I’m New Here“ ist ein sehr persönliches Album geworden. Richtete Scott-Heron in seinen bekannten Songs „The Revolution Will Not Be Televised“ oder „The Bottle“ den Blick nach außen, guckte auf die Gesellschaft und sprach von politischem Aufruhr und sozialen Problemen, wählt er 2010 eine eher private Perspektive, um dennoch dieselben Phänomene zu behandeln. Im Auftaktsong erzählt er von seiner Kindheit, die er im Süden der USA bei seiner Großmutter verbracht hat. Das Schicksal, ohne den eigenen Vater – sein Erzeuger war jamaikanischer Fußballspieler, der Gils Mutter bald verließ – und somit ohne eine positive, männliche Bezugsperson aufzuwachsen, ist exemplarisch für viele afroamerikanische Männer. Nicht nur für Scott-Herons Generation, alleinerziehende Mütter gibt es zumindest in der schwarzen Unterschicht auch heute massenweise. Im Outro beschreibt Scott-Heron seine Herkunft mit einem Begriff, der in den 60ern für diese Familien gewählt wurde: „I came from what they called a broken home“, nur um klarzustellen, dass „broken home“ absolut unzutreffend ist, denn er bekam von starken Frauen – seiner Mutter und seiner Großmutter – all die Zuneigung, die er als Heranwachsender gebraucht hat.

Die introspektivere Art der Texte spiegelt sich im musikalischen Material wieder. Bildeten in Scott-Herons musikalischem Schaffen der 70er jazzige Funkgrooves die Basis für sein rhythmisiertes Sprechen, klingt „I’m New Here“ schwer nach Blues. Stücke wie „Me And The Devil“ und „I’ll Take Care Of You“ (eine Coverversion des R-&-B-Songwriters Brook Brenton) sind starke Klagegesänge. Das großartige „New York Is Killing Me“ baut auf einem Handclap-Pattern auf, über das sich ein Bluesgitarren-Riff legt. Die Musik erinnert an Fieldhollers und Worksongs der amerikanischen Sklaven.

Der Sound kommt trotzdem wie TripHop daher. Kein Wunder, hat doch mit Richard Russel, dem Chef von XL Recordings, ein Engländer seine Finger in der Produktion, der in der elektronischen Musik zu Hause ist. Russel nahm 2006 Kontakt zu Scott-Heron auf, als dieser wegen Drogengeschichten im Knast saß. Dreimal sperrte man ihn in den Nuller Jahren wegen Kokainbesitzes ein. Die Aufnahmen sind Teil der Bewährungsauflage.

Nachdem er 2007 zum letzten Mal entlassen wurde, begann der Sänger gemeinsam mit Russel in New York die Arbeit an „I’m New Here“.

Es ist ein kurzes Album geworden. Auf knapp dreißig Minuten finden sich in 15 Titeln mit Intro und Outro und einigen Zwischenspielen eher Snippets als fertige Lieder. Aber Gil Scott-Heron ist ein Poet, der auch in Fragmenten mit seiner bassigen Stimme mehr Aura, Ansprache und Mitteilung packen kann, als viele Musiker in einem ganzen Album. Und so lohnt es sich, „I’m New Here“ anzuhören. Denn die Musik ist so wie Gil Scott-Heron: absolut eigenständig. JAN KAGE

■ Gil Scott-Heron, „I’m New Here“ (XL Recordings/ Beggars Group/Indigo)