: Kein Sex verkauft sich gut
Der echte Silvio Berlusconi, italienischer Ministerpräsident, will nun mit einem Keuschheitsgelübde die Parlamentswahlen gewinnen. Hat der selbst inszenierte Macho etwa seine Strategie geändert?
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Zweieinhalb Monate ohne Sex – das ist bei fast 70-jährigen Herren nicht unbedingt die große Ausnahme. Außer sie heißen Silvio Berlusconi. Der nämlich macht mit einem Keuschheitsgelübde jetzt Wahlkampf: Bis zum Tag der italienischen Parlamentswahlen am 9. April, so verkündete er im Gespräch mit einem Priester, will er sich „in totaler sexueller Abstinenz“ üben. Da konnte Gottes Segen natürlich nicht ausbleiben: Sein Gesprächspartner, Pfarrer Don Massimiliano, versprach reichlich Gebete gegen den drohenden Wahlsieg der Linken, der „den moralischen Untergang des Landes“ bedeuten würde.
Soll das heißen, dass mit Oppositionsführer Romano Prodi ein Lustmolch nach der Macht greift? Eher ist es wohl umgekehrt: Als Don Giovanni stilisiert sich seit Jahren Berlusconi. Gern gibt er zum Besten, er fühle sich noch heute „fit wie ein 30-Jähriger, und das gilt auf allen Gebieten“. In Russland erregte der italienische Regierungschef Aufsehen, als er bei einer Werksbesichtigung eine Arbeiterin überfiel und sie trotz Widerstands mit einem kräftigen Berlusconi-Schmatzer vor einem ziemlich konsternierten Putin als „die Schönste im Betrieb“ auszeichnen wollte. Und ausländische Investoren gedachte er mit dem Versprechen ins Land zu holen, Italiens Sekretärinnen hätten nun mal „die schönsten Beine“.
Nein, das Abstinenzversprechen Berlusconis – wenn er es denn hält – wäre ein wirklicher Verzicht. Vor wenigen Jahren greinte er am Telefon, abgehört von der Staatsanwaltschaft in der Neujahrsnacht, seinem Intimus Marcello Dell’Utri sein Leid. Die beiden Sternchen aus einer Billigshow seines Privatsenders hätten sich nicht zur Neujahrsparty eingefunden, „und wer zu Neujahr nicht bumst, bumst das ganze Jahr nicht“ (italienisches Sprichwort). Genau so ist die abstinenzlerische Macho-Botschaft an die Wähler gemeint: Schaut her, was euer strammer Bursche an der Regierung nicht alles opfert, um das Land zu retten.
Momentan opfert er vor allem, mit solchen und anderen Auftritten, seine Zeit. Kein Tag vergeht, an dem Berlusconi sich selbst nicht in irgendeine Fernsehshow einlädt. Das fällt nicht schwer: Drei Sender gehören ihm ja selbst, drei andere – die der staatlichen RAI – hat er politisch unter Kontrolle. Da sitzt er dann und erzählt Schwänke aus der Jugendzeit, und meistens dreht sich die Erzählung bloß darum, was für ein gelungenes Exemplar Mensch der Silvio Berlusconi ist. Überhaupt die Familie Berlusconi: eine einzige Ausnahmeerscheinung. Die greise Mama bot angeblich ganz allein kurz vor Kriegsende ein paar Nazi-Soldaten furchtlos die Stirn, und die jüngste Tochter wurde, darf man Berlusconi glauben, vom Philosophieprofessor als „genialste Studentin, die ich je hatte“, gelobt. Äpfel fallen eben nicht weit vom Stamm.
Das klingt albern – und doch ist es Strategie. „Agenda-Setting“ heißt das Zauberwort: Statt über Kaufkraftverlust und Wirtschaftskrise, statt über misslungene Berlusconi-Reformen redet das Land seit Wochen bloß über Berlusconi, sind selbst die Oppositionszeitungen voll mit Berichten vom gerade letzten Fernsehauftritt des Mannes, der, selbst wenn er wollte, kaum zum Sex käme, weil er laufend in irgendeinem TV-Studio herumsitzt. In Polit-Talkrunden ist er sowieso, aber auch in Familienshows am Abend, am nächsten Morgen dann zu fast noch nachtschlafender Zeit im Frühstücksfernsehen, später in der Fußballsendung, und selbst beim RAI-Radio-Verkehrsfunk schaute er vorbei.
Das fuchst die Opposition kräftig. Ihr bleibt nichts anderes, als einigermaßen ohnmächtig Berlusconis Medienübermacht zu geißeln. Neben den Berichten über die Berlusconi-Auftritte füllen sich so die Seiten auch der oppositionsnahen Blätter mit Artikeln über die Dauerpräsenz des Ministerpräsidenten oder über die mahnenden Worte von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi, der für „ausgewogene Berichterstattung“ Partei ergreift – und wieder ist von den Problemen des Landes nicht die Rede, wieder hat Berlusconis Exorzierungsstrategie Erfolg gehabt. Nur eine Hoffnung hat die Linke: dass das Land des in Überdosis Verabreichten überdrüssig wird. So wohl dürfen wir Romano Prodis Stoßseufzer verstehen: „Bald sehen wir Berlusconi auch als Teppichhändler auf dem Shopping-Kanal.“