: So provisorisch wie lebendig
NEUE TAZ-SERIE 12 Bezirke, zahllose Kieze und ihre Vielfalt: Zum Auftakt geht es nach Prenzlauer Berg. Das Gartencafé „Die Eisbüfee und der Waffler“ am Senefelderplatz muss schließen. Mit ihm geht ein letztes Kleinod aus einem vergangenen Berlin verloren
■ Gebiet: Prenzlauer Berg im Bezirk Pankow erstreckt sich auf 10,955 Quadratkilometer und ist in 15 Kieze unterteilt.
■ Bevölkerung: 145.676 Menschen leben im Stadtteil. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 13.847 Einwohnern pro Quadratkilometer und ist damit eine der höchsten in der Hauptstadt (Stand: 31. 12. 2012).
■ Altersstruktur: Fast die Hälfte (48,4 Prozent) der Bevölkerung ist zwischen 25 und 45 Jahre alt (Berlin: 30,3 Prozent, Deutschland: 26,7 Prozent).
■ Miete: Der Kollwitzplatz ist mit rund 18 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter eine der teuersten Gegenden Berlins. (gs)
■ Sozialstruktur: Die Sozialstruktur befindet sich seit der Wende im Umbruch. Schätzungen zufolge sind rund 80 Prozent der derzeitigen Bewohner von Prenzlauer Berg von außerhalb Berlins zugezogen. Die Arbeitslosenquote lag Ende 2010 mit 8,6 Prozent unter dem Berliner Durchschnitt von 9,4 Prozent. 16,6 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund. Auch damit liegt Prenzlauer Berg deutlich unter dem Berliner Schnitt (25,5 Prozent).
VON SUSANNE MESSMER
Wer heute über den Senefelderplatz in Prenzlauer Berg schlendert, kann sich kaum mehr vorstellen, wie es hier vor einigen Jahren noch ausgesehen hat. Es gab Brachflächen, auf denen Kamille und Holunder wuchsen. Man konnte sich in einen Liegestuhl vors „Sonnendeck“ legen, eine Bar im Bauwagen, die in mehreren Brachen um den Platz herumcampierte. An deren Brandmauer in der Kollwitzstraße 18 hatte der Künstler Sergej Dott sechs lebensgroße Kühe aus rosa Kunststoff montiert, im Hinterhof der Kollwitzstraße 42 lockte ein Restaurant mit einem Garten aus bepflanzten Weinkisten, und Berlin fühlte sich ebenso provisorisch wie lebendig an. Heute sind am Senefelderplatz fast alle Baulücken gefüllt. Europas größter Biosupermarkt ist eingezogen, der bereits als „Kathedrale der Ökoschwaben“ beschimpft wurde. Die Kühe sind weitergezogen, statt ihrer lockt der „Palais Kolle Belle“ mit „Savoir Vivre“ in Berlin. Nichts erinnert hier mehr an das, was war.
Nichts außer dem Abenteuerspielplatz in der Kollwitzstraße 37 und dem dazugehörigen Wasserspielplatz mit dem Gartenrestaurant „Die Eisbüfee und der Waffler“. Doch auch diese letzte Oase droht nun zu verschwinden. Der Pachtvertragvertrag der Betreiber Johannes Buttler und Jeanette Zekina läuft Ende des Jahres aus. Alles deutet darauf hin, dass der Besitzer des Grundstücks, das Netzwerk Spiel/Kultur Prenzlauer Berg e. V., der neben dem Abenteuerspielplatz Kitas und Horte betreibt, das Gartencafé loswerden will.
Entspannen trotz Kind
Es ist ein sonniger Nachmittag, und es ist viel los im Café „Die Eisbüfee und der Waffler“ – so wie immer, wenn es nicht gerade in Strömen regnet. Auf dem Platz tummeln sich mindestens dreißig Kinder. Währenddessen sitzen Mütter, Väter und Babysitter bei einem Kaffee und den berühmten Waffeln von Johannes Buttler und plaudern. Denn es ist dies einer der wenigen Spielplätze in Berlin, wo man mit Kleinkind entspannt sein kann. Die Kinder können an diesem umzäunten Ort nicht so leicht ausbüxen. Außerdem kann man hier die Kinder im Blick behalten und sich gleichzeitig in eine Zeitung oder ein Gespräch mit Erwachsenen vertiefen.
„Uns wurden nicht viele Gründe genannt, warum wir nicht bleiben dürfen“, sagt Buttler bei einem Cappuccino vor seinem Kiosk. „Aber einer war auf jeden Fall, dass wir hier keine pädagogische Nutzfläche zur Verfügung stellen würden.“ Er schüttelt den Kopf. Bis heute kann er nicht nachvollziehen, wie es eigentlich zum Bruch kam mit den Betreibern des Abenteuerspielplatzes. Lange Zeit haben er und seine Frau und Geschäftspartnerin Jeanette Zekina selbst für den Verein gearbeitet, er hat als Musikpädagoge den Proberaum ausgebaut, mit einer Handvoll Kindern haben sie eine hauseigene Band gegründet und eine CD produziert. Damals kochten sie in einem kleineren Kiosk Kaffee, um Instrumente zu finanzieren.
Als der Kiosk gut lief, reifte die Idee, mehr daraus zu machen. 2008 ermöglichte der Verein den beiden Mitarbeitern den Weg in die Selbstständigkeit. Sie mieteten die Hütte laut Buttler für 50 Euro im Monat und investierten 20.000 Euro in den Umbau.
Drei Jahre lang lief alles wie am Schnürchen, gestresste Eltern kamen mit ihren Kindern, um mal abzuschalten, viele nutzten auch originelle Zusatzangebote wie Zwiebeln gegen Wespenstiche. Mit dem Winter 2011 zog plötzlich ein neuer Ton auf im Verhältnis zwischen Gartencafé und Verein. Der Verein verhängte laut Buttler und Zekina Vorschriften und Verbote, die nie Teil der Absprache gewesen waren. Das Mobiliar auf der linken Seite des Spielplatzes sollte verschwinden, man beharrte darauf, das Tor zur Straße hin um 6 Uhr morgens zu öffnen und um 22 Uhr zu schließen – unsinnige Öffnungszeiten für den Kiosk, finden Buttler und Zekina, denn sie zwingen sie dazu, jeden Morgen den Platz nach Flaschen und Fäkalien abzusuchen. Während eines Winterurlaubs entfernte der Verein einen Zaun, den die Betreiber zum Schutz des Kiosks aufgestellt hatten.
Als dann auch noch die Ankündigung kam, die Miete für den knapp acht Quadratmeter und nur an sieben Monaten im Jahr geöffneten Kiosk auf ganzjährig monatlich 600 Euro zu erhöhen, da war den beiden Betreibern klar: „Die wollen uns loswerden.“ Der Verein reagierte nicht auf das Angebot, monatlich 200 Euro Miete zu zahlen, und nicht auf die Unterschriften, die sie sammelten.
Marcus Schmidt, Pädagoge auf dem Abenteuerspielplatz, der von einer „sehr viel geringeren Miete als 50 Euro“ für den Kiosk im Augenblick spricht, kann sich an keine Schreiben dieser Art erinnern. Und als Buttler und Zekina dann auch noch einen Anwalt einschalteten, da war das „Vertrauensverhältnis zerstört“, so Schmidt. Man verstehe, dass Buttler und Zekina viel Herzblut in den Kiosk gesteckt haben, sagt er. Aber es habe Beschwerden gegeben von Eltern, die den Spielplatz nicht mehr als öffentlichen empfanden. Man habe immer nur einen Kiosk gewollt, kein Gartencafé. Nun sei der „Zug abgefahren“, es gebe kein Zurück.
Die Geschichte von Johannes Buttler und Jeanette Zekina ist auch die von zwei Arbeiterkindern in der DDR, die „nichts geschenkt bekamen“, wie Johannes Buttler sagt; die ihre kleine Chance bekamen – und nun doch wieder von vorn anfangen müssen. Nicht dass die beiden von sieben Monaten Kiosk leben könnten – das geht nur mit Nebenjobs. Aber ein finanzielles Standbein ist der Laden doch.
Zekina ist in Prenzlauer Berg aufgewachsen, sie hat selbst noch auf all den Brachen gespielt, die ihren Kiez bis lange nach der Wende prägten. Und Buttler kam mit Anfang zwanzig von Hoyerswerda nach Berlin, in die Stadt im Umbruch. Diese Zeit in Berlin, sie hat beide geprägt. Sie liebten es, dass hier alles im Werden war. Damals ging es noch nicht darum, dass jeder sein Stück vom Kuchen wollte; es gab genug Raum, um zu tun, was man wollte. Es ist, als stünden Zekina und Buttler für ein anderes Berlin, das längst vergangen ist.
Sie sind nun wehmütig, weil sie ihren Garten verlassen müssen. Sie wissen nicht, ob ein anderer den Kiosk betreiben wird. Nach langem Zögern haben sie einen kleinen Laden gegenüber gemietet, ausgerechnet im Palais Kolle Belle. Der Besitzer fand die beiden sympathisch und machte einen fairen Preis. Es sieht so aus, als hätten sie sich längst verabschiedet von einem der letzten Provisorien in dieser Gegend.