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Archiv-Artikel

„Ich selbst fühle diese Reserviertheit“

VERÄNDERUNGEN Ein Gespräch mit der Regisseurin Jasmila Zbanic über ihren Wettbewerbs-Film „Na putu“ (On the Path), über bosnische Eigenarten der Problembewältigung und die Rolle der Wahhabiten

Jasmlia Žbanić

■ wurde 1974 in Sarajevo geboren und studierte an der Kunstakademie. Sie arbeitete kurz als Clown, weshalb sie zum Entsetzen ihrer Hauptdarstellerin Clownworkshops immer noch wichtig findet.

■ 2006 gewann sie den Goldenen Bären für „Esmas Geheimnis“, die Geschichte einer Mutter, die ihrer Tochter verheimlichen möchte, dass diese das Ergebnis einer Vergewaltigung im Lager ist.

INTERVIEW INES KAPPERT

taz: Frau Žbanić, Ihre männliche Hauptfigur verwandelt sich in einen Islamisten. Fürchten Sie um Ihre Freiheiten?

Jasmila Žbanić: Wer könnte sie mir nehmen? Selbst in repressiven Gesellschaften findet sich immer irgendein Weg, zumindest solange die Leute sich nicht selbst ihre Freiheit nehmen. Außerdem, hey, ich bin ein Kind von Partisanen! Mir geht es weniger um Verlustängste als um die Veränderungen, die ich in meiner Gesellschaft beobachte. Vom Sozialismus zum Krieg und jetzt vom Krieg in eine „normale“ Gesellschaft. Das, was in Bosnien in den letzten fünfzehn Jahren passiert ist, hat sich in Ländern wie der Schweiz über einen Zeitraum von fünfzig Jahren entwickelt.

In Sarajevo tragen weniger Frauen ein Kopftuch als in Berlin. Warum haben Sie den radikalen Islam als die Bedrohung für Ihr Liebespaar gewählt?

Zunächst einmal: Ich wollte keinen Film über Wahhabiten machen. Auch wenn diese Gruppe von dogmatischen Sunniten ein relevantes Phänomen in Bosnien ist. Für mich sind sie eine Metapher für alle radikalen Gruppierungen, seien es Christen oder Nationalisten. Aber die Wahhabiten haben mich visuell am meisten interessiert.

Weil sie anders aussehen als Sie und ich?

Ja, und weil sie in einer Kommune leben, weil sie ganz anderen Lebensregeln folgen. Sie sind in Bosnien das sichtbarste Zeichen für „das Andere“. Aber ich hoffe, das Publikum versteht, dass das Problem, um das es in meinem Film geht, auch entstehen kann, wenn ein Partner plötzlich zu Microsoft geht und glaubt, das wäre nun die wahre Welt, und nichts anderes zählt mehr.

Nachdem wir eine Art neuen Kalten Krieg zwischen Muslimen und Christen haben, ist diese Hoffnung auf ein offeneres Verständnis recht gewagt.

Vielleicht. Ich wollte wohl vor allem mit meinen eigenen Vorurteilen brechen.

Welchen zum Beispiel?

Dass Frauen, die den Tschador tragen, auf jeden Fall unterdrückt sind. Unsere vielen Gespräche mit Wahhabiten haben das aber nicht ergeben. Sondern viele kleiden sich unter ihrem Schleier durchaus körperbewusst, und nicht wenige haben einen Uniabschluss. Nicht immer natürlich, das wird im Film auch erzählt, aber oft handelt es sich um Frauen, die dieses andere Leben wirklich leben wollen.

Zeigen Sie die in dem Wahhabitendorf lebende Nadja deshalb als rasante Autofahrerin?

Genau. Sie steuert auch das Schiff, mit dem sie und Luna den See überqueren. Sie tut das, was sie tun will. Sie ist eine Frau, die ihr Leben unter Kontrolle hat. Sie nimmt sich die Freiheit, vormodernistisch zu leben. Das war für mich der größte Schock: dass es auch bei dieser abgeschotteten Lebensform um Freiheit geht.

Alle Ihre Filme haben einen politischen Anspruch. Nicht zuletzt im Sinne von „Das Private ist politisch“. In „On the Path“ klebt die Kamera sehr stark an den Körpern, an der Haut, am Make-up der Frauen. Warum arbeiten Sie so viel mit Close-ups?

Für diesen Film war es notwendig, dass sich das Publikum mit den Figuren identifizieren kann. Ich wollte die Zuschauer mit den Nahaufnahmen nicht manipulieren. Ich benutze diese Kameraeinstellung nicht, um Emotionen heraufzubeschwören, sondern damit das Publikum Details sieht. Damit es sich in die Figuren hineinfinden kann.

Als sich Amar den Islamisten annähert, fehlen ihm die Worte, um seine Veränderung zu erklären, Luna ebenso. Warum sind die beiden so sprachlos?

Es sind keine Intellektuellen.

Man muss nicht intellektuell sein, um mehr miteinander zu sprechen oder zu streiten.

Die beiden verstehen sich als Teil ihrer kleinen, gemeinsamen Abgeschiedenheit. Sie reden nicht über das Alkoholproblem von Amar, sie glauben zu wissen, woher es kommt. Genauso wie sie zu wissen glauben, warum Amar sich Hilfe bei einer religiösen Gemeinschaft sucht. Es sind einfach keine Leute, die daran gewöhnt sind, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Was interessiert Sie an solchen Figuren?

Das frage ich mich auch gerade, jetzt, wo Sie es sagen. Wahrscheinlich, weil ich selbst auch diese Reserviertheit in mir fühle. Vielleicht ist das kulturell bedingt. Bosnier sind nicht so diskursiv, wir machen eher einen Witz, als dass wir unsere Probleme auf den Tisch legen würden. Das war auch während der vielen Gespräche mit den Schauspielern so: Es gibt immer einen Bereich, an den man nicht rankommt, der geschlossen ist. Wir akzeptieren das und gehen eher intuitiv miteinander um.

Hat das mit der Kriegserfahrung zu tun?

Wahrscheinlich noch mehr mit unseren Familienwerten. So mit der Idee: „Das bleibt in der Familie, das hat nichts in der Öffentlichkeit zu suchen.“ Obwohl es in der Familie natürlich auch nicht diskutiert wird. Und dann kommt der Krieg noch hinzu. Und der ist bis heute nicht ansatzweise aufgearbeitet.

„Das war für mich der größte Schock: dass es auch bei dieser abgeschotteten Lebensform um Freiheit geht“

Das war auch auffällig. Die Dialoge in Ihrem Film zeichnen sich durch totale Abwesenheit von jedem psychologischen Vokabular aus. Es scheint überhaupt keinen Code für den Umgang mit Angst oder Traumata zu geben.

Ja, das stimmt. Niemand spricht über seine Ängste. Denn: Wir sind ja nicht verrückt. Statt sich mit ihnen zu beschäftigen, akzeptiert man seine Phobien wie seine eigene Hand und versucht, so gut es geht, mit dem Handicap zu leben. Wir glauben fest daran, dass wir keine Hilfe brauchen. Bis auf mich allerdings: Ich brauche Hilfe!

Und was halten Sie von dieser Zurückhaltung?

Ich weiß es nicht. Mir fehlt da im Moment die Distanz. Ich werde drüber nachdenken.

Ist es symptomatisch, wenn Luna als Stewardess auf ihren Reisen immer im Hotel bleibt?

Ja, sie ist zwar frei, als eine der wenigen Bosnier kann sie reisen. Letztlich bleibt sie jedoch immer in den von den Institutionen vorgeschriebenen Bahnen. Aber ich bin bei Pauschalisierungen vorsichtig. Es gibt diese Abschottung, gerade unter den Jüngeren. Und auch die Tatsache, dass wir für jedes Land ein Visum brauchen, hilft nicht weiter. Man könnte denken, für Leute, die von der Berlinale eingeladen werden, wäre es einfacher. Von wegen. Auch wir standen bei der Botschaft fünf Stunden in der Schlange. Und es verstärkt das Gefühl, das viele bei uns ohnehin haben: Bleibt, wo ihr seid, wir wollen euch nicht.

Planen Sie, Ihren Standort zu verlegen, jetzt, wo Sie international bekannt sind?

Nein, mir geht es sehr gut. Meine Tochter geht jetzt in Sarajevo zur Schule, wir leben gern dort. Natürlich gibt es kaum finanzielle Unterstützung für Filme. Dafür helfen mir viele, viele Leute einfach aus Sympathie. Zum Beispiel als wir die Szenen am See drehten. Das ist ein künstlicher See, dessen Wasser im Herbst abgelassen wird. Für uns haben sie das Wasser zwei Wochen länger stehen gelassen, einfach nur, weil sie wollten, dass wir schöne Bilder bekommen. So etwas kriege ich nirgendwo anders.