Elend des Seins

Das freie Theater „Herz und Mund“ bringt eine Adaption von Kaurismäkis „Leben der Bohème“ auf die Bühne des Münsteraner Pumpenhauses

AUS MÜNSTERMARCUS TERMEER

Die Zeiten werden härter. Auch die gebildeten Mittelschichten sind von Verarmung bedroht, zur Zwangskreativität genötigt. Das freie Theater „Herz und Mund“ aus Münster und Berlin reagiert auf die Frage nach der Kunst des (Über-)Lebens ohne Geld in einer Geld geprägten Gesellschaft. Nach „Die glorreichen Sieben“ ist Aki Kaurismäkis „Leben der Bohème“ der zweite Film, den es auf die Bühne des Münsteraner Pumpenhauses bringt.

Ursprünglich ein Roman des Parisers Henry Murger (1822-1861), wurde der Stoff bekannt in der zuckrigen Opernversion Giacomo Puccinis. 1992 hat ihn Kaurismäki verfilmt. Seine Helden sind ständige Verlierer mit Würde, „Stehaufmännchen“, die sich lakonisch weigern, Elend wie Anpassung zu akzeptieren. Das bleibt in der Inszenierung zwar erhalten, aber mit sehr eigenen Mitteln: Drei Künstler, der Schriftsteller Marcel (Markus Frank), der Musiker Schaunard (Hendrik Pape) und der illegal eingewanderte albanische Maler Rodolfo (Philipp Sebastian) kämpfen solidarisch gegen Hunger, Kälte und Ignoranz. Ihre Gegenspieler sind die Repräsentanten des Wohlstands: Hausbesitzer, Ferrari-Fahrer, Polizist, Arzt (alle Harald Redmer). Die Künstler leben in ständiger Armut. Überraschend verdientes Geld wird umgehend verjubelt. Sie verlieren Wohnungen, alle ihre Möbel, Jobs. Und Marcel und Rodolfo verlieren schließlich ihre Freundinnen Musette (Cornelia Kupferschmid) und Mimi (Susanne Burkhard), die das improvisierte Leben voller Illusionen nicht mehr ertragen.

Improvisation und Illusion sind auch die Grundlagen der gelungenen Inszenierung. Feste Strukturen von Räumen und Personen gibt es nicht. Sie wechseln ständig, entstehen jeweils aus dem Kontext. So wird allerlei auf der Bühne verteiltes Mobiliar jeweils zu Wohnungen, Bars, einer Disco, einem Polizeirevier, einem Stadtpark, einem Auto. Die DarstellerInnen „verwandeln“ sich immer wieder in eine Art ErzählerInnen, die Kaurismäkis Regie-Anweisungen vortragen und so den Fortgang der Handlung schildern.

Die Realitäten durchdringen sich. Das Ganze ist ein Spiel mit der Illusion und dabei gleichzeitig völlig offen. Es fordert die Phantasie des Publikums und bricht sie immer wieder. Und es reflektiert zugleich das Bohème- Klischee, spätestens, wenn das Stück kurzfristig in eine angemessen alberne Version der Puccini-Oper verfällt.

Heute und Morgen, 20:00 UhrInfos: 0251-233443