LESERINNENBRIEFE : Es geht ums Grüne
Werden Parks gerodet, liegt der Vergleich von Stuttgart 21 mit dem Gezipark nahe, meinen LeserInnen. Haben die Grünen Demokaten „uns verraten“, weil auf ihrer Prioritätenliste jetzt der Laubfrosch fehlt? Auch diese Frage wird in Briefen an die taz verhandelt
Demokratielabor
■ betr.: „Ein Hauch Pariser Mai 68 am Gezi-Park“, taz vom 10. 6. 13
Wer flog im Sommer 2010 während der größten Demonstrationen mit dem Flugzeug nach Stuttgart und vom Flughafen mit dem Hubschrauber in den Stuttgarter Schlossgarten? Cem Özdemir, seither in Stuttgart nur „Heli-Cem“ genannt. Und wie bezeichnete er damals begeistert die „Stuttgarter Republik“? Jawohl, als Demokratielabor. (Das war vor der Landtagswahl.) Man kann der türkischen Bürgerbewegung nur wünschen, dass sie sich nicht von Politikern und Parteien vereinnahmen lässt, sondern an ihren Zielen festhält und die politischen Trittbrettfahrer an Ergebnissen misst und nicht an lauwarmen Worten. Dann wäre der „Schwarze Donnerstag“ am 30. 9. 2010 und die großflächige Rodung des Stuttgarter Schlossgartens im Februar 2012 wenigstens nicht völlig umsonst gewesen. SABINE REICHERT, Stuttgart
Rückwärtsgewandt
■ betr.: „Erdogan ist auf Konfrontationskurs“, taz vom 12. 6. 13
Wir erleben die Demaskierung eines durchgeknallten Reaktionärs. Im Zusammenhang mit einem möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist es legitim, die Erwartungen und Interessen der bestehenden Gemeinschaft klar zu benennen. Eine kulturell islamisch geprägte, freiheitlich demokratische Nation als Brücke zwischen Orient und Okzident wäre von unschätzbarem Wert. An ausufernder Gewalt gegen freie Meinungsäußerung, religiöser Bigotterie und rückwärtsgewandtem Denken besteht nicht der geringste Bedarf. OLIVER HANNAPPEL, Mühltal
Unglückliche Wahl
■ betr.: „Der kranke Mann am Bosporus“, taz vom 12. 6. 13
Eine unglückliche Wahl der Titelzeile: Der „kranke Mann am Bosporus“ steht für die europäische Entwertung des Sultans im 19. Jahrhundert, um das Osmanische Reich zu entmachten, für die imperialistischen Bestrebungen verschiedener europäischer Länder, für eine Kolonialisierungspolitik im Gebiet des damaligen Osmanischen Reichs. Warum setzt man auf eine Titelzeile, die all diese Assoziationen aufruft, in denen sich der Wunsch nach einer europäischen Überlegenheit ausdrückt? no_signal, taz.de
Sensible Jugend
■ betr.: „Da bleibt kein Auge trocken“, taz vom 11. 6. 13
Diese Protestbewegung ist sehr reif und nicht personengebunden – sie folgt nicht einer Person, sondern agiert autark gegen aktuelle Zustände. Es sind diverse Protestbewegungen, die zufällig denselben Nenner haben. Die Erfahrung, gemeinsam stark zu sein, ist nicht nur Ventil für die jahrelang unterdrückten Menschen, sondern gibt ihnen ein Selbstbewusstsein, das sie für Erdogan gefährlicher macht als der bloße Hass seiner Gegner. Die erfahrene Solidarität eint das multiethnische Volk, welches Erdogan strategisch gegeneinander aufgewiegelt hatte. Ein Volk, das verstanden hat, dass seine Stärke in der Einheit liegt, hat das Wesen der Demokratie und der Freiheit verstanden. Die junge Generation ist sensibel für das, was im Land geschieht, und ist für die Zukunft des Landes von unschätzbarem Wert. Sie wird nicht mehr stillschweigend hinnehmen, dass geldgierige kriminelle Verführer wie Erdogan stückweise das Land verkaufen, vergiften, verraten und intensiv Vetternwirtschaft betreiben. IlknurB, taz.de
Erinnert an 68
■ betr.: „Erdogan probt den Dialog“, taz vom 13. 6. 13
Der Säkularisierungsprozess in den muslimischen Ländern hat die Türkei erreicht. Die Gebildeten und die Jungen sind all die Rattenfänger leid, die den Glauben dazu missbrauchen, ihre Macht diktatorisch auszubauen. Irgendwie erinnern mich die Vorfälle am Taksimplatz weniger an Stuttgart 21, sondern mehr an 1968: Wir begehrten damals gegen die nationalsozialistische Durchwachsung Deutschlands auf, durchaus erfolgreich wie ich meine, dort will man die laizistische Demokratie ohne die alten Zöpfe. Wenn Erdogan auf diese Bewegung weiterprügelt, wird er, außer einer Radikalisierung (siehe Baader-Meinhof) nichts erreichen: Ich erinnere mich noch sehr gerne an die Wasserwerfer in der Schellingstraße in München bei der Bild-Zeitung. Die haben nur bewirkt, dass es kein Zurück mehr gab. MICHAEL MARESCH, München
Scheinheilig
■ betr.: „Nichts sehen, nichts senden“, taz.de vom 12. 6. 13
Merkel und Westerwelle machen sich für Demonstranten stark, die Steine und Brandsätze werfen. Ohne die berechtigten Interessen der türkischen Demonstranten in Abrede zu stellen, sollten wir mal den Versuch machen, die Situation dort auf bundesdeutsche Verhältnisse zu übertragen. Parkschützer, ist das nicht ein baden-württembergisches Reizwort, das an schärfste Gewaltmaßnahmen der Polizei erinnert? Man stelle sich vor: Auf bundesdeutschen Straßen versammelten sich plötzlich unzählige Menschen, die wegen der ignoranten Politik von Frau Merkel gegenüber sozial Schwachen enttäuscht sind und ihren Rücktritt forderten, unterstützt von irgendwelchen ausländischen Regierungschefs. Scharfes Vorgehen der deutschen Polizei gegen deutsche Demonstranten habe ich nun in meinem Demokratenleben so oft erlebt, dass ich über die scheinheilige Empörung zu den Vorgängen in der Türkei nur müde lächeln kann. FRITZ PH. MATHES, Pforzheim
Sehr reißerisch
■ betr.: „Wer hat uns verraten? Grüne Demokraten“, taz vom 13. 6. 13
Es wundert nicht, dass in reißerischer Art dieses Ergebnis der Grünen-Abstimmung als Aufmacher der taz gebracht wird. Denn es wäre wirklich ein Skandal, wenn die Grünen sich vom Thema Artenschutz verabschieden würden. Wenn man näher hinschaut, ist es aber so, dass wir uns tatsächlich von diesem Thema verabschieden müssen, wenn Energiewende und Ökologisierung der Wirtschaft nicht forciert werden. Schließlich sind der Raubbau an der Natur durch Ressourcenverbrauch, die Betonierung der Landschaften, der sich ausweitende Flugverkehr als Folgen ungebremsten Wachstums und die nach wie vor heilige Kuh Wirtschaftswachstum die Ursache für das Aussterben vieler Arten.
Bei der Grünen Abstimmung waren die Grünen-Mitglieder schon in einem wirklichen Dilemma, wo sie ihr Kreuzchen machen sollen, weil die vorgegebenen Themen in den einzelnen Bereichen sehr eng miteinander verknüpft sind und sich teilweise gegenseitig bedingen. Hätten die Grünen die Energiewende als Topthema abgewählt, hätte die Schlagzeile in der taz sicher geheißen: „Wer hat uns verraten? Grüne Demokraten!! HANS MENNINGMANN, Reinheim
Fracking fehlte
■ betr.: „Wer hat uns verraten? Grüne Demokraten“, taz vom 13. 6. 13
Bei den 58 Forderungen, die zur Auswahl standen, fehlte gänzlich die Forderung nach einem totalen Verbot von Fracking. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich eine große Mehrheit für die schnelle Durchsetzung der Energiewende und die Abkehr von fossilen Energieträgern ausspricht, was einem Frackingverbot entspricht. Den grünen Mitgliedern, die gegen Fracking sind, blieb als einziger Alternativposten, um Fracking zu stoppen, die prioritäre Zustimmung für die Energiewende. Hätte die Grünen-Führung mehr Forderungen zur Auswahl gestellt, erhöhte das zwar die Qual der Wahl, differenziert aber auch gleichzeitig die Meinung der Basis. Dann hätte vielleicht auch der Laubfrosch einen vorderen Platz eingenommen. HARALD RÜCKER, Korbach
Unnötiger Spott
■ betr.: „Wer hat uns verraten? Grüne Demokraten“, taz vom 13. 6. 13
Natur und Artenschutz steht im Programm der Grünen weiterhin als einen der Grundlagen der politischen Überzeugung. Dass zum derzeitigen Zeitpunkt Themen wie Energiewende im politischen Fokus stehen, ist nun mal so. Handlungsschwerpunkte ergeben sich aus den gesellschaftlichen Vorgängen, was nicht bedeutet, dass alles andere damit über Bord geworfen wird.
Ihren Spott hätte ich einmal lesen wollen, hätten die Grünen den Schutz des Laubfrosches als ihr wesentliches Ziel für die nächste Legislaturperiode hervorgehoben. Falls die taz ihr politisches Ziel darin sieht, auf den Grünen herumzuhacken, werden Sie in Zukunft auf einen Leser verzichten müssen. GERHARD BRUDER, Frankenthal
Mit Pseudobasisdemokratie veräppelt
■ betr.: „Wer hat uns verraten? Grüne Demokraten“, taz vom 13. 6. 13
Die Interpretation, dass grüne Mitglieder Themen weniger spannend finden als Köpfe, stellt 75 Prozent der grünen Basis ein schlechtes Zeugnis aus – das sie nicht verdient. Man darf die Mitglieder, die den Mitgliederentscheid boykottiert haben, für politisch mindestens so rational halten wie diejenigen, die teilgenommen haben. Denn worum ging es? Um fast nichts. Es ging um eine Prioritätensetzung für den Wahlkampf – obwohl gut unterrichtete Grüne schon seit Langem wissen, dass die Plakatmotive längst beschlossen sind. Der Entschluss war überhaupt nicht bindend, was ja angesichts des Zwanges zu Koalitionen sowieso Unsinn gewesen wäre. Darum stört es Katrin Göring-Eckardt auch nicht, dass nicht alle ihre Themen vorne gelandet sind, denn die „seien ja nicht abgewählt“. Verändern ließ sich an den Inhalten auch nichts mehr, nachdem der Vorstand auf der BDK durch undurchsichtige Wischiwaschikompromisse mit einigen prominenten MdBs, Vertagen strittiger Themen und Debattenverhinderung mehr oder weniger sein Wahlprogramm durchgesetzt hat. Wer also zu Hause geblieben ist, tat das vermutlich darum, weil er oder sie weiß: Die Basis, die ihren MdBs nicht scharf auf die Finger guckt, wird weiter mit Pseudobasisdemokratie veräppelt werden, deren Hauptzweck eine gute Publicity ist. In unserem Kreisverband haben wir angeregt, das demokratische Defizit in der grünen Partei selbst zu thematisieren. MICHAH WEISSINGER, Essen