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Archiv-Artikel

Tropfende Sabberfäden

DIE JUGEND VON MORGEN Das brisante Romandebüt einer Zwölfjährigen

Sie spürte, wie Max ihr seine Zunge reinsteckte. Sein Atem roch nach Kindermilchschnitte

Die Bestseller-Autorinnen werden immer jünger: Nach der 17-jährigen Helene Hegemann hat nun die erst 12-jährige Filine Heinmold ihr autobiographisches Romandebüt vorgelegt. Ein Buch voll sexueller Eskapaden, erster Drogenerfahrungen – aber vor allem: unerfüllbarer Sehnsucht. Ein schonungsloser Blick auf das Leben der 12-Jährigen! „Ein literarisches Wunder“, jubelt denn auch der „Spiegel“; „verdammt verrucht“, schwärmt die „Bild“. Und die „FAZ“ schreibt: „Ein für ihr Alter erstaunlich eloquenter Text, erzählt aus der schwierigen Perspektive der dritten Person. Chapeau!“ Die Wahrheit druckt exklusiv einen Auszug aus „OrxlYtl KlRzcPxTlrw12“:

Das war echt krass! Sari hatte die Mathe-Hausaufgaben vergessen. So eine Scheiße! Aber jetzt gleich hatten sie eine Freistunde. Weigelt, die alte Pottsau, war krank. Wenn Sari jemanden fand, der sie abschreiben ließ, würde sie es noch schaffen.

Sie ging über den Hof in die Ecke hinter dem Geräteschuppen, wo sich die 6b und 6c immer in den Hofpausen trafen. Es waren fast alle da: Jasper, Julian, Lena-Marie, Hanna, Max, Claudius, Céline, Cem, Alexander, Dorothee, Mitri. Mitri rauchte eine Zigarette und versuchte dabei, Ringe zu machen. Er sah aus wie einer von Saris Guppys, die sich an den Aquarienwänden festgesaugt hatten. Danny beschallte die anderen mal wieder mit Atzen-Rap aus seinem Handy: Disco-Pogo! Der nervte echt ab mit seiner behinderten Musik!

Mit den meisten der Jungs war Sari schon gegangen. Mit Jasper zwar nur ein Wochenende, an dem sie sich nicht gesehen hatten; danach war sie nicht mehr in ihn verliebt gewesen. Mit Julian dafür dreieinhalb Wochen. Dann hatte er sie angerufen und gesagt, sie hätten sich auseinandergelebt. Zwei Tage später war er schon mit Mandy gegangen, die in die Klasse unter ihnen ging.

Wenn Sari mit Julian Händchen gehalten hatte, war es immer der pure Sex gewesen. Denn sie hatten nicht bloß einfach so Händchen gehalten, wie eine Mutter die Hand ihres Kindes hält; sie hatten ihre Finger ineinander geschlungen, mit den Daumen die Handflächen des anderen liebkost, ihre Finger waren ständig in Bewegung gewesen, hoch- und runtergefahren, sie hatten ihre Fingerkuppen aufeinander gelegt – das war Hochleistungshändchenhalten gewesen. Richtig hot! Mandy, das Baby, hielt bestimmt nicht so gut Händchen wie sie.

„Okay“, schlug Julian vor, „spielen wir Wahrheit oder Pflicht!“ – „Was? Jetzt?“ – „Na klar, sieht doch keiner. Oder haste Schiss?“ – „Okay“, sagte Jasper, der als Erster eine Aufgabe sagen durfte. „Céline muss sich so dicht vor Dorothee stellen, dass sich eine Minute lang durch die Pullis ihre Brüste berühren.“ – „Kein Problem“, sagte Dorothee. „Nee, oder?“, sagte Céline. Die beiden stellten sich voreinander und umarmten sich, dabei schmiegten sie ihre Wangen aneinander. „Ey, so sieht man ja gar nichts“, beschwerte sich Jasper. „Tja, Pech gehabt“, sagte Dorothee.

Sari war die Nächste, die einen Befehl ausführen musste: „Dreißig Sekunden Max küssen“, verkündete Julian. Wahrscheinlich hatten die beiden sich abgesprochen. „Mit Zunge!“ – „Iiiiieh!“, machten Hanna und Lena-Marie. Aber Befehl war Befehl! Sari stellte sich vor Max, schloss ihre Augen und öffnete ihren Mund. Sie spürte, wie Max ihr seine Zunge reinsteckte und mit dem Kopf kreisende Bewegungen machte. Sein Atem roch nach Kindermilchschnitte. „Fünf, vier, drei, zwei, eins …“, zählte Julian rückwärts. Als sie fertig waren, tropfte ein dicker Sabberfaden auf den Boden, und Sari wischte sich ihr pitsche-patsche-nasses Kinn mit dem Ärmel ab.

„Gibst du mir einen Zug von der Zigarette?“, fragte sie Mitri. Sie rauchte zwar nicht, weil sie Rauchen eigentlich echt abartig fand, aber gerade hatte sie das dringende Bedürfnis, sich die Mundhöhle auszuräuchern. Sie nahm einen Zug. Bäh, war das eklig! Es schmeckte, als hätte sie an einem Auspuff geleckt. Schnell gab sie den Glimmstängel an Mitri zurück.

„Achtung, Gammelfleisch“, raunte Danny. Und tatsächlich, da kam Laubach, der Hirbel, ihr Erdkundelehrer. Mitri ließ die Zigarette hinter seinem Rücken verschwinden. „Habt ihr keinen Unterricht?“, wollte der Lehrer wissen. „Nein, wir haben Freistunde“, sagte Jasper. „Weigelt ist krank.“

Eigentlich fand Sari ihn doch ganz süß. Sie wusste gar nicht mehr, warum sie damals Schluss gemacht hatte. Aber Lena-Marie hatte erzählt, dass Jasper jetzt mit Anna ging. Die beiden hatten sogar ein gemeinsames Profilfoto auf SchülerVZ. Voll peinlich! Aber irgendwie auch ganz süß?

Es klingelte, und Laubach sagte: „Na, dann ist die Freistunde jetzt ja vorbei. Rein mit euch, Damen und Herren!“ Zusammen mit Jasper, Julian, Lena-Marie, Hanna, Max, Claudius, Céline, Cem, Alexander, Dorothee und Mitri ging Sari über den Hof. O nein!, schoss es ihr mit einem Mal durch den Kopf. Jetzt hatte sie die Matheaufgabe ganz vergessen! So ein verdammter Mist!

PHILIP MEINHOLD