: Haiti hat doch noch gewählt
Trotz einiger Zwischenfälle und Pannen ist die erste Runde der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Haiti insgesamt friedlich verlaufen. Die Wahlbeteiligung war hoch
SANTO DOMINGO taz ■ Die Präsidentschaftswahl in Haiti ist von Tumulten und dem Tod von fünf Personen überschattet worden. Nachdem die Wahl fünfmal verschoben wurde, waren rund 3,5 Millionen Wähler am Dienstag aufgerufen, zwei Jahre nach dem erzwungenen Rücktritt von Jean-Bertrand Aristide einen neuen Staatspräsidenten zu wählen.
Um das höchste Staatsamt bewarben sich 32 Kandidaten. Um die 110 Sitze im Senat und der Deputiertenkammer konkurrierten rund 1.300 Bewerber.
Die von internationalen Geldgebern mit 70 Millionen US-Dollar finanzierte Wahl begann mit Tumulten vor den insgesamt 804 Wahllokalen. Bereits Stunden vor der offiziellen Eröffnung um 6 Uhr morgens hatten sich lange Schlangen von Wählern gebildet. Die Wahlzentren wurden von den Truppen der UN-Mission Minustah und rund 6.000 haitianischen Polizisten bewacht. Etwa die Hälfte der Wahlzentren waren auch noch zwei Stunden nach Beginn des Urnenganges geschlossen. Es fehlten Wählerverzeichnisse oder es waren die falschen ausgeliefert. An vielen Orten gab es keinen Strom.
Als auch eine Stunde nach der offiziell angesetzten Eröffnung viele der Stimmlokale nicht geöffnet worden waren, kam es vielerorts zu Zusammenstößen und Prügeleien erboster Wähler. Dabei erstickte in dem Gedränge ein älterer Mann in der Kleinstadt Petion-Ville. Eine Frau erlitt in Port-au-Prince einen Herzinfarkt. In der Region um Gonaïves kam es zu dem schwersten Zwischenfall. Ein Bewaffneter habe einen Polizisten erschossen, berichtete der Rundfunksender Radio Metropole. Danach sei der Mann von einer Menschenmenge gelyncht worden.
Spannung lag über der Armensiedlung Cité Soleil im Nordwesten von Port-au-Prince, die als Hochburg der Lavalas-Bewegung von Aristide gilt. Dort hatte es in der Vergangenheit immer wieder Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Banden, Aristide-Anhängern, der Polizei und Minustah gegeben. Deshalb wurde in Cité Soleil kein Wahlbüro eingerichtet. Die Wahlberechtigten der Elendssiedlungen waren gezwungen, in Wahllokalen in der Umgebung ihre Stimme abzugeben. „Sie wollen nicht, dass wir wählen. Aber wir sind hier und werden wählen“, sagte eine Frau aus Cité Soleil dem Rundfunk.
Der Chef der Beobachtermission der EU, Johan Van Hecke, kritisierte die schlechte Organisation. Vor Pressevertretern sagte er: „Eine total motivierte Bevölkerung verdient gut vorbereitete und organisierte Wahlen.“
Aussichtsreichster Kandidat für die Präsidentschaftswahl ist René Preval. Der 62 Jahre alte Agraringenieur war bereits von 1996 bis 2001 haitianischer Staatschef. Dem Chef der Partei Lespwa, der als Vertrauter des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide gilt, wollten nach Umfragen rund 36 Prozent der Wähler ihre Stimme geben. Sollte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen, wird es am 19. März eine Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten geben. Zwei weiteren Amtsbewerbern werden Chancen für den zweiten Wahlgang eingeräumt: Leslie Manigat, einem 73 Jahre alten langjährigen Diplomaten, der große Sympathien im haitianischen Bürgertum hat. Und Charles „Charlito“ Henry Baker, einem „weißen Unternehmer“, der mit „Ordnung, Disziplin und Fleiß“ das Armenhaus Lateinamerikas sanieren will. Am Freitag wird mit ersten Ergebnissen gerechnet.
HANS-ULLRICH DILLMANN