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Archiv-Artikel

Gegen den Senioren-Blues

WISSEN Wenn Fachkräfte altern, können sie auf die Rente warten – oder ihr Wissen weitergeben. In Frankreich werden sie an Start-ups ausgeliehen

Le Monde

■ Wo: Die Redaktion sitzt seit Dezember 2004 im Boulevard Auguste-Blanqui, im Süden von Paris. Die Fassade des Redaktionsgebäudes ziert eine Friedenstaube des bekannten Karikaturisten Plantu.

■ Seit wann: Die erste Ausgabe erschien am 18. Dezember 1944.

■ Wer liest es: Neben Le Figaro die meistgelesene meinungsbildende Zeitung Frankreichs. Im Gegensatz zur konservativen Ausrichtung des Figaro ist die Linie von Le Monde linksliberal.

■ Wie viele: Die Auflage beträgt 324.500 Exemplare.

■ Besonderes: Mit Berichten über den Chemiewaffeneinsatz in Syrien gelang Le Monde im April 2013 ein Scoop, der durch die ganze Welt ging.

VON BENJAMIN LECLERCQ

François Barre hat kaum mitbekommen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Seit sieben Monaten arbeitet er bei Celeste, einem Spezialisten für Glasfaserkabel und Rechenzentren in Champs-sur-Marne im Großraum Paris. Aber er ist hier nur vorübergehend, ein ganz besonderer „Leiharbeiter“. Fünf Monate noch.

Auch wenn auf seiner Visitenkarte das Celeste-Logo prangt, trägt sein Gehaltszettel den Stempel von Alcatel-Lucent, einem Großkonzern. François Barre wurde ausgeliehen. Für ein Jahr, von Oktober 2012 bis Oktober 2013. Vom Großkonzern in einen kleinen Betrieb mit 50 Beschäftigten.

Dieses Austauschprogramm wurde 2011 von der Thales-Tochter Géris und der Regionalentwicklungsagentur Paris und Ile-de-France initiiert und beruht auf einer einfachen Idee: Ein großer Konzern leiht einem kleinen oder mittelständischen Betrieb einen Seniorexperten, der dessen Wachstum ankurbeln soll. Das Programm wird gerade getestet. Neben François Barre wurden noch fünf weitere Senioren in kleine Betriebe entsandt.

„Mit François habe ich ein Jahr lang den erfahrenen Blick von außen“, sagt Frédérique Dofing, die Geschäftsführerin von Celeste. Ein „Supercoach“ für die Vertriebsleute: „Er steigert die Kompetenz des Teams.“

Der Betrieb hätte sich die Dienste François Barres nie aus eigener Kraft leisten können. Durch das Programm „Pass‘ compétences“ werden 60 Prozent seines Gehalts abgedeckt. Das Ergebnis: „Für 3.000 Euro netto im Monat bekomme ich einen erfahrenen Experten zum Preis eines Berufsanfängers“, sagt Frédérique Dofing. Die restlichen 40 Prozent des Gehalts werden von Barres Arbeitgeber, dem Großkonzern Alcatel-Lucent, getragen.

Der erste Tag

Der 57-jährige Robert Monteillier arbeitet seit Oktober bei „Sunpartner“, einem Kleinbetrieb, der sich mit Sonnenenergie beschäftigt. 20 Jahre lang hat er in China gearbeitet, jetzt soll er für „Sunpartner“ die Strategie für „Building“ in Asien entwerfen. „Er kommt mit seinem ganzen Netzwerk, dadurch können wir viel schneller vorankommen“, sagt der 35-jährige Geschäftsführer Ludovic Deblois. Und wenn es um Personalführung geht, fügt Deblois hinzu, „sind die 55- bis 60-Jährigen viel leichter zu managen als die Jungen, die einen Posten, einen Titel und eine große Karriere haben wollen.“

„Ich will meiner Karriere neuen Schwung verleihen“, sagt Monteillier, der bereits 30 Jahre bei Schneider Electric verbracht hat. „Ich saß auf einem richtigen ‚Corporate‘-Posten, ziemlich weit, nein, ganz weit vom operationellen Geschäft entfernt.“ Durch Zufall stieß er auf eine Annonce im Schneider-Intranet. Er bewarb sich im Juni und kam im letzten Oktober zu „Sunpartner“. Sein erster Arbeitstag? „Ich war wie ein kleiner Junge, der an die Oberschule kommt und alles neu entdeckt: Ich war vorher noch nie in einem Start-up oder in einem Kleinbetrieb.“

Der Großkonzern-Effekt – und der Seniorenblues? „In den Unternehmen ist man mit 45 alt, und mit 55 können sie einen nicht mehr rausschmeißen, aber man wird von der Liste der wichtigen Leute gestrichen“, erzählt Robert Monteillier. Mit 62 Jahren geht man in Frankreich normalerweise in Rente.

„In einem kleinen Betrieb wird anders gedacht“, bestätigt François Barre. „Hier ist es ganz egal, wie alt ich bin!“ Der Firmenchefin von Celeste sei erst geraume Zeit nach François Barres’ Ankunft überhaupt klar geworden, dass sich das Programm „Pass’ compétences“ an ältere Arbeitnehmer richtet.

Air France, Thales und Sanofi haben sich in erster Linie für das Programm engagiert. Es sei kein Mittel, ihre älteren Arbeitnehmer zu entsorgen, dementiert Armelle Jamault von Systematic. „Es geht auch nicht um Vertretungen oder Ersetzungen.“ Die Überlassung von Angestellten kann sich jedoch in „ruhigeren Zeiten“ als nützlich erweisen oder „die Rückkehr aus einer Auslandstätigkeit abmildern und dem Mitarbeiter die Möglichkeit geben, wieder hier anzukommen“.

Der letzte Tag

Systematic fördert den Mitarbeiterverleih nur ein Jahr lang. Die Seniorexperten müssen also in ihre Konzerne zurückkehren. „Wenn Experte und Kleinbetrieb sich ineinander verlieben, werden wir die Hochzeit nicht verhindern, aber das ist nicht unser Ziel!“, sagt Armelle Jamault. Bei seiner Rückkehr soll der Angestellte einen gleichwertigen Posten erhalten, er ist also „vollständig abgesichert“.

Robert Monteillier kehrt gern zu Schneider zurück, aber er würde ebenso gern um Verlängerung bitten. „Sunpartner“ brauche ihn in den nächsten Monaten mehr, sagt er, und er habe seine großen Verträge noch nicht abgeschlossen. Für Ludovic Deblois, seinen Chef bei Sunpartner, steht fest: Mit Hilfe der Seniorexperten „würden mehr Start-ups mittelständische Betriebe“.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski