: Architektonisches Wurfgeschoss
MUSEUM II Erlebniszentrum, Speerspitze des sanften Kulturtourismus, Nachbar eines ehemaligen Tagebaus: Das Paläon soll viele Antworten zugleich geben. Das gelingt aber nur teilweise
Das Erlebniszentrum – dieser Gebäudetypus ist äußerst jungen Datums, somit ohne bauhistorische Vorbilder, greift jedoch epidemisch um sich. Mit dem Paläon bei Schöningen hat nun ein weiteres dieser Zentren tief in der niedersächsischen Provinz eröffnet.
Die Züricher Architekten Barbara Holzer und Tristan Kobler wurden mit dem Bau und der Ausstellungsszenografie beauftragt. Sie hatten dabei zu antworten auf eine spezielle Aufgabe: Am Rande eines ehemaligen Tagebaus wurden 1994 die Schöninger Speere entdeckt, jene acht rund 300.000 Jahre alten filigranen Jagdwaffen, die sich mit Grabungsfunden im südafrikanischen Kathu Pan um den Superlativ des ältesten Nachweises kreativer Intelligenz der Menschheit streiten.
Der ehemalige Braunkohletagebau bei Schöningen ist ein grandioses Landschaftsartefakt, arbeitet sich Schicht um Schicht in die Tiefe, erdgrau bis fast schwarz, noch ohne jegliche Flora. Aber auch die weitere Landschaft und den Ort Schöningen umweht ein spezieller Reiz: es ist die Melancholie einer strukturschwachen Region, der Status des So-Nicht-Mehr-Gebraucht-Werdens nach dem Niedergang alter Industrien. Der archäologische Fund soll nun die sprichwörtliche Speerspitze zum sanften Kulturtourismus darstellen, auf dass die Kommune wirtschaftlich genese.
Die Antwort der Züricher Architekten ist eine auffällige, von weither sichtbare Landmarke, die den Fundort bewusst überhöht. Ein verspiegeltes Gebilde aus zwei ineinander verschränkten Quadern steht nun am Rande des Tagebaus. Horizontale Einschnitte in die Kubaturen sollen Metaphern sein für die verschobenen Erdschichten draußen, schräg verlaufende Sichtfelder setzen Landschaftsausschnitte in Szene. Die spiegelnden Fassaden sind mit leichten Alupaneelen bekleidet. Sie sollen den dominanten Bau dann doch wieder in die Landschaft integrieren. „Der Horizont geht durch“, sagt Tristan Kobler dazu. Was natürlich Unsinn ist: Die eindrückliche Topografie wird nun zu irritierenden Zerrbildern ihrer selbst, von optischer Zurücknahme, gar Respekt vor dem Ort keine Spur. Und ein ganz praktischer Einwand: Naturschützer können tödlichen Vogelschlag am Gebäude nicht ausschließen.
Im Inneren erwartet die Besucher ein kleines Foyer, es wird umfahren von roten Treppen- und Galeriebrüstungen. Der Hauptaufgang führt direkt in das zweite Obergeschoss zu 600 Quadratmetern Dauerausstellung und einem Mehrzweckbereich, von hier geht eine separate Treppe wieder hinab, vorbei an Besucherlaboren und einsehbaren Arbeitsräumen der Restauratoren im ersten Obergeschoss. Der Rundgang erschließt allerdings nur recht banale Räume, die einfordernde Geste der äußeren Gestalt findet kaum Entsprechung im Inneren.
Auch das plumpe Dachtragwerk, viele nicht zu Ende entworfene Sichtbetonflächen, eine mäßige Ausführungsqualität in weiten Teilen des Gebäudes sind wohl nicht nur der kurzen Planungs- und Bauzeit von lediglich drei Jahren geschuldet.
Und wo sind sie nun, die Speere, diese urzeitliche ‚Spitzentechnik aus Niedersachsen‘, wie von zahlreichen Eröffnungsrednern beschworen? Sie liegen seelenruhig am Ende des Weges durch die Dauerausstellung in einer wohltuend schlichten Wandvitrine. Vorher muss man allerdings vorbei an scheinbar unvermeidbaren Animationen sowie am Arrangement aus einem naturalistischem Homo Heidelbergensis und der postkubistischen Skulptur eines urzeitlichen Pferdes, das in Niedersachsen nicht fehlen darf. BETTINA MARIA BROSOWSKY