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Archiv-Artikel

Schwarzrote Nesthocker

Hartz IV wird umgebaut: Junge Arbeitslose sollen bei den Eltern wohnen bleiben und bekommen weniger Geld

Jusos: „Es ist erstaunlich, dass Jugendliche jetzt einen Rechenfehler der Regierung ausbaden müssen“

VON ULRIKE WINKELMANN

Wer arbeitslos ist, muss länger Kind bleiben. Schon am Freitag will die schwarz-rote Koalition ihre Vereinbarung durch den Bundestag bringen, wonach jungen Leuten der Anspruch auf Arbeitslosengeld II gekürzt wird. Wer unter 25 ist, bekommt nur noch 80 Prozent des ALG-II-Satzes von 345 Euro, also 276 Euro, und zählt somit so viel wie ein über 13-jähriges Kind. Eine Wohnung bekommt nur noch bezahlt, wer „aus schwer wiegenden sozialen Gründen“ nicht mehr bei den Eltern wohnen kann. 500 Millionen Euro pro Jahr will Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) dadurch sparen.

Diese Kürzung bei jungen Arbeitslosen war von Union und SPD im November 2005 bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben worden. Sie soll schon am 1. April in Kraft treten und wird deshalb jetzt von Müntefering zusammen mit einem kleinen Bündel an Hartz-IV-Ausbesserungsmaßnahmen recht eilig durchs parlamentarische Verfahren gezerrt.

Die Wohlfahrtsverbände, die gestern in den gesetzlichen Anhörungen ihre Meinung kundtun durften, beschränkten ihre Kritik weitgehend auf den Begriff „schwer wiegend“: Grundsätzlich seien die Kürzungen in Ordnung, jedoch sollten junge Leute schon bei einfachen „sozialen Gründen“ von zu Hause ausziehen dürfen.

Heftige Einwände kamen gestern vor allem von den Grünen. Die Sozialexperten Markus Kurth und Brigitte Pothmer erklärten: „Es war ein Schwerpunkt der Hartz-Gesetzgebung, Berufsanfängern die eigenständige Lebensführung zu ermöglichen und bei der Integration in das Erwerbsleben zu helfen.“ Die Neuregelung sei „inakzeptabel“.

Der Juso-Vorsitzende Björn Böhning ergänzte: „Es ist schon verwunderlich, dass junge Arbeitslose weniger wert sein sollen als alle anderen.“ Es sei auch „erstaunlich, dass Jugendliche jetzt einen Rechenfehler der Regierung ausbaden müssen“, die bei der Verabschiedung der Hartz-IV-Reform schlicht die Ausgaben zu niedrig angesetzt habe.

Den als links geltenden SPD-Abgeordneten war dagegen kein Wort des Widerstands zu entlocken. Teils waren sie überrascht von Münteferings Vorstoß, teils bereits auf Linie gebracht: „Ich halte das für richtig“, sagte etwa die Sozialpolitikerin Andrea Nahles. Der arbeitsmarktpolitische der SPD Sprecher Klaus Brandner verteidigte wie gewohnt Münteferings Vorlage: Junge Arbeitslose würden mit der neuen Regelung nicht schlechter gestellt als arbeitslose Ehepartner, die ebenfalls nur 80 Prozent ALG II kriegen.

Großzügig vergaß Brandner dabei, wie es in den Verhandlungen um die Hartz-Reformen 2003 überhaupt dazu gekommen war, dass junge Erwachsene einen eigenständigen Anspruch auf volle Unterstützung erhielten. Zwar verlangte die Union die Unterhaltspflicht von Eltern für Kinder (soweit sie ihre Erstausbildung abgeschlossen haben) auch unter ALG-II-Bedingungen. Doch Rot-Grün wollte die absehbaren Einbußen von Arbeitslosen eben auch mit einem Mehr an Emanzipation verbinden – Stichwort „fordern und fördern“. In diesem Zusammenhang schrieb Brandner im Oktober 2003 an seine Fraktionskollegen einen Beruhigungsbrief: „Es ist und war nie daran gedacht, eine Unterhaltspflicht von Eltern oder Kindern einzuführen.“

Die jetzige Regierung begründet die Kürzung nun damit, dass ein Großteil der ungeplanten Mehrkosten, die Hartz IV seit Anfang 2005 verursacht hat, auf das Konto junger Leute gehe. Sie zögen in Scharen von zu Hause aus, um es sich mit ALG II auf dem eigenen Sofa gemütlich zu machen. Tatsächlich sind junge Leute laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Gewinner der Hartz-IV-Reform: Viele beziehen erstmals überhaupt oder aber mehr Geld als zuvor. Dies war allerdings auch so gedacht.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) zählt gegenwärtig 266.000 unter 25-jährige ALG-II-Bezieher – sie machen etwa die Hälfte aller arbeitslos gemeldeten unter 25-Jährigen aus. Doch geben die BA-Statistiken keinen Hinweis darauf, dass junge Menschen massenweise eigene Hausstände gründen. Die Zahl der „1-Personen-Bedarfsgemeinschaften“ ist zwar gewachsen: von 1.855.000 im Januar auf 2.212.000 im September 2005. Doch hat sich der Anteil der 1-Personen-Bedarfsgemeinschaften an allen ALG-II-Haushalten nicht erhöht: Er pendelt stabil um 57 Prozent. Münteferings Ministerium bestätigte gestern, es lägen keine konkreten Zahlen über den unterstellten ALG-II-Missbrauch durch junge Leute vor.