: Provider als Hilfssheriffs
PRODUKTPIRATERIE Wer haftet für Copyrightverstöße? Nach dem geplanten Anti-Piraterie-Abkommen könnten Internetprovider verantwortlich gemacht werden
■ International: Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement ist ein multilaterales Handelsabkommen, das der Produktpiraterie vorbeugen soll. An den Verhandlungen beteiligt sind neben der EU Australien, Kanada, USA, Japan, Südkorea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur und die Schweiz. Die nächste Acta-Runde soll vom 12. bis zum 16. April in Neuseeland stattfinden.
■ Deutschland: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger letzte Woche in einem Interview mit Spiegel Online: „Die Bundesregierung wird kein völkerrechtliches Abkommen akzeptieren, das Netzsperren enthält“. (taz)
VON TARIK AHMIA
Die Medienindustrie ist durch die digitale Revolution im Internet in wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Ihr Kampf gegen das unkontrollierte Kopieren von Filmen, Musik und Software gestaltet sich Jahr für Jahr schwieriger. 95 Prozent aller Musikdownloads finden mittlerweile ohne Einverständnis der Urheber statt, schätzt die Branche.
Doch nicht nur die Musikindustrie ist betroffen: Allgemein ist die Verbreitung von Produkten, die gegen das Urheberrecht verstoßen, in der globalisierten Wirtschaft ein ernsthaftes Problem geworden. Nach Schätzungen der Organisationen für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) entsteht durch Produktpiraterie weltweit jährlich ein Schaden von mehr als 150 Milliarden US-Dollar. 79 Millionen gefälschte Produkte wurden 2007 an den Grenzen der Europäischen Union beschlagnahmt. Der größte Teil dieser Waren stammt aus Asien. China beispielsweise ist aber an den Verhandlungen für das Antipiraterie-Abkommen Acta nicht beteiligt.
Acta steht für „Anti Counterfeiting Trade Agreement“, ein Regelwerk, das seit 2007 zwischen vierzig Staaten aushandelt wird, um der Produktpiraterie Einhalt zu gebieten. Sollte Acta zum Zuge kommen, dürfte es die Informationsfreiheit im Internet gravierend einschränken. Das befürchten jedenfalls Netzaktivisten.
Lancierter Entwurf
Offiziell dringt über die Acta-Gespräche so gut wie nichts nach außen. Als Begründung für die Geheimniskrämerei führt die EU-Kommission an, dass einige Staaten die Veröffentlichung von Dokumenten bei laufenden Verhandlungen ablehnen. Auf ihrer Website nennt die EU-Kommission lediglich die Themen, über die in den bislang sieben Verhandlungsrunden diskutiert wurde. Als Zeichen der Transparenz will die Kommission am 22. März in Brüssel eine öffentliche Acta-Informationskonferenz veranstalten.
Details aus den laufenden Verhandlungen bekamen bislang nicht einmal Mitglieder des Europäischen Parlamentes zu Gesicht. Ihnen wird der Zugang zu den Verhandlungsdokumenten verwehrt, während US-Konzerne wie Time Warner, IBM, Monsanto und General Motors vollständig auf die geheimen Papiere zugreifen können, wie aus Wirtschaftsberichten ersichtlich wird. Das gilt auch für die mehr als 100 Lobbyisten aus den Bereichen Unterhaltungsindustrie, Computersoftware, Buchverlage und Pharmaindustrie.
„Die Geheimniskrämerei rund um Acta ist nicht akzeptabel. Elementare Freiheitsrechte im Internet können nicht ohne Beteiligung der Betroffenen diskutiert werden“, sagt der Jurist Thomas Hoeren, Professor für Telekommunikations- und Medienrecht an der Uni Münster, der taz. Ähnlich sieht das der renommierte kanadische Internetrechtler Michael Geist: „Hinter verschlossenen Türen wird ein internationales Urheberrechtsabkommen vereinbart, das 70 Prozent der Weltbevölkerung vor vollendete Tatsachen stellen soll.“
Die beiden Juristen fordern wie auch Bürgerrechtsorganisationen und das Europäische Parlament, die Acta-Verhandlungen bedingungslos offenzulegen, denn einmal unterschrieben, müssten die Acta-Vorgaben in die nationalen Urheberrechtsgesetze der Acta-Mitgliedsländer übernommen werden.
Unabhängige Beobachter sind darauf angewiesen, dass immer mal wieder interne Acta-Dokumente im Internet lanciert werden. Vor einigen Tagen ist dort ein Acta-Entwurf mit dem Titel „Vollzugsmaßnahmen in der digitalen Welt“ aufgetaucht. Er liegt der taz vor und beschreibt die Mechanismen, mit denen die Internetpiraterie international gestoppt werden soll. Das Papier sorgt derzeit unter Netzaktivisten und Bürgerrechtlern für Aufregung.
„Das Dokument offenbart das ganze Horrorszenario des Acta-Abkommens“, schreibt etwa Markus Beckedahl in seinem Blog netzpolitik.org. So sollen laut Acta-Entwurf die rechtlichen Bestimmungen darüber geändert werden, wer in Zukunft für Copyrightverstöße haften soll.
Hat die Medienindustrie bisher tausende Internetnutzer wegen des unerlaubten Kopierens von Musik oder Filmen juristisch verfolgt, so sollen künftig Internetprovider für ihre Kunden haften, wenn diese gegen das Urheberrecht verstoßen. Dieser Haftung können die Internetprovider gemäß dem dreiseitigen Acta-Entwurf nur entgehen, wenn sie sich verpflichten, die Internetpiraterie aktiv zu bekämpfen. Dazu sollen sie den Datenverkehr ihrer Netzwerke auf Urheberrechtsverletzungen durchsuchen dürfen. Nutzern, die wiederholt verdächtigt werden, gegen das Copyright zu verstoßen, soll nach dem Acta-Entwurf der Internetzugang gekappt werden.
Datenschützer befürchten, dass Internetprovider durch Acta genötigt werden könnten, den Datenverkehr permanent zu kontrollieren, um nicht selbst für die Handlungen ihrer Kunden haften zu müssen. „Die Provider werden so in die Rolle des Hilfssheriffs gedrängt“, sagt Marcus Cheperu vom Verein Arbeitskreis Grundrechte, informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz (AK Daten) der taz. Die dafür nötigen Techniken gebe es bereits. „Automatische Verfahren wie die ‚Deep Packet Inspection‘ greifen in den privaten Datenstrom der User ein und filtern dessen Inhalte nach allen denkbaren Kriterien“, sagte Cheperu.
Der Medienrechtler Thomas Hoeren kritisiert den Acta-Entwurf ebenfalls. „Internetsperren und Providerhaftung sind verfassungsrechtlich bedenklich“, meint Hoeren. Nach geltendem EU-Recht müssten Provider nur haften, wenn ihnen bekannt ist, dass sich auf ihren Systemen illegale Inhalte befinden, ohne dass sie etwas dagegen unternehmen. „Für eine umfassende Überwachung der Netznutzer gibt es in Europa keine rechtliche Grundlage“, sagte Hoeren.
Tatsächlich schließt die europäische E-Commerce-Richtlinie derzeit die Haftung von Providern aus, solange sie keine Kenntnis von illegalen Inhalten haben. Internetanbieter, die „unverzüglich tätig“ werden, um Urheberrechtsverstöße aus ihren Systemen zu entfernen, sind demnach ebenfalls von einer Haftung freigestellt.
Offener Brief
Auch Bürgerrechtler mobilisieren gegen Acta. Die Free Software Foundation kritisiert ebenfalls, Acta führe zu einer „Kultur der Überwachung und Verdächtigung“. Ein Bündnis von mehr als 50 europäischen Organisationen aus den Bereichen Bürgerrechte, Verbraucherschutz und Internetwirtschaft hat die Initiative in einem offenen Brief als „eine globale Bedrohung der Freiheit“ kritisiert. Zu den deutschen Mitgliedern der Allianz zählen unter anderen der Chaos Computer Club, Reporter ohne Grenzen und die Datenschützer vom Verein FoeBuD. Das Abschalten von Internetzugängen wegen Verstößen gegen das Copyright ist bisher nur in Frankreich und den USA möglich („Three strikes and you are out“) – doch sie ist juristisch umstritten.
Die Bundesregierung erklärte jüngst in ihrer Antwort auf eine Acta-Anfrage der Linken im Bundestag, sie lehne „Internetsperren bei möglichen Urheberrechtsverletzungen als den falschen Weg zur Bekämpfung dieser Verstöße ab und wird sich für diese Position, falls nötig, auch in den Verhandlungen zu Acta einsetzen“.
Das EU-Parlament hat Netzsperren ebenfalls als Verstoß gegen das Grundrecht auf Informationsfreiheit kritisiert und bekommt durch ein Gutachten des juristischen Dienstes der EU-Kommission Rückendeckung. Auch der oberste Datenschützer der EU, Peter Hustinx, veröffentlichte kürzlich einen 20-seitigen Brandbrief gegen die Acta-Pläne und die konspirative Vorgehensweise. Mitte Januar machte die zukünftige Grundrechtekommissarin Viviane Reding ebenfalls ihre kritische Haltung zu Acta deutlich.
Die EU-Kommission bestätigt auf taz-Nachfrage, dass sich durch Acta an der geltenden europäischen Rechtslage nichts ändern solle. „Spekulationen über die massive Einschränkung von Bürgerrechten entbehren jeder Grundlage“, teilte die EU-Kommission der taz mit. „Die Kommission wird sicherstellen, dass Acta mit der jetzigen europäischen Gesetzgebung zum Schutz der Rechte von Urhebern in Einklang sein wird.“ Es werde keine „Harmonisierung durch die Hintertür geben“, teilte die Kommission der taz mit. Allerdings gibt es auch Anzeichen dafür, dass eine klare Position zu Acta innerhalb der EU-Institutionen brüchig ist. So haben die Kommission und der Europäische Rat – allen Mahnungen und Resolutionen des Europäischen Parlamentes zum Trotz – bislang nichts an der geheimen Natur der Acta-Konsultationen geändert. Die Acta-Verhandlungen würden „nicht in die Zuständigkeit des Europäischen Parlamentes fallen“, heißt es in dem Kommissionsentwurf kategorisch.
Datenschützern reichen Nachbesserungen indes nicht aus, denn sie halten das ganze Projekt für einseitig interessengeleitet. „Acta ist der Versuch der Medienindustrie, ihre alten Besitzstände in das 21. Jahrhundert hinüberzuretten“, sagt Marcus Cheperu vom AK Daten. Für ihn ist Acta ein anachronistisches Vorhaben. „Das kann keine Antwort auf die Erfordernisse der Informationsgesellschaft sein. Sie lebt davon, Wissen schnell zu verbreiten“, sagte Cheperu.