: „Schwarzer Februar“ in den Ölfeldern
Großoffensive bewaffneter Rebellen in Nigeria gegen die Regierung und die internationalen Ölkonzerne als Reaktion auf Luftangriffe des Militärs. Am schwersten betroffen ist Shell. Die Regierung bietet Gespräche an und rüstet zugleich auf
VON DOMINIC JOHNSON
Nigeria befindet sich im Ölkrieg. Die Rebellen der „Bewegung zur Emanzipation des Niger-Deltas“ (MEND) in Nigerias Ölfördergebieten meldeten gestern, sie hätten im Westen der Ölregion ein Kriegsschiff und eine Shell-Pipeline in die Luft gesprengt. „Wir werden mit der Zerstörung der Ölanlagen im Bundesstaat Delta fortfahren, während wir unsere Angriffe auf die Gesamtregion weiter vorbereiten“, so MEND. „Wir erklären (Nigerias Präsident) Obasanjo den Krieg.“
Bereits Ende letzter Woche hatten die Rebellen den größten Shell-Ölexportterminal Forcados in Brand gesteckt und damit den Stopp von Ölexporten in Höhe von über 400.000 Barrel täglich erzwungen – knapp ein Fünftel der Fördermenge Nigerias. Außerdem zerstörten sie drei Ölpipelines und erzwangen die Schließung des Flughafens von Warri, größte Stadt im westlichen Teil des Niger-Deltas. Sie stellten diese Aktionen als Rache dafür da, dass Nigerias Luftwaffe in den Tagen zuvor Hubschrauberangriffe auf Dörfer geflogen hatte, die bis zu 25 Tote forderten – die Regierung sprach von einer Strafaktion gegen Ölschmuggler und sagte, es seien bloß Schiffe versenkt worden.
Die MEND-Bewegung rekrutiert sich aus Kämpfern des Ijaw-Volkes, größte Ethnie des Niger-Deltas. Sie trat zuerst zu Jahresanfang in Erscheinung, als Nachfolgeorganisation der „Niger Delta People’s Volunteer Force“ (NDPVF), die sich 2004 Kämpfe mit Nigerias Armee geliefert hatte und deren Führer Dokubo Asari inzwischen in Haft sitzt. Erst letzte Woche trat die MEND-Führung unter dem selbst ernannten „Generalmajor“ Goodwill Tamuno an die Öffentlichkeit und erklärte, ihr Ziel sei die „totale Kontrolle“ von Nigerias Ölregion. Nigerias Regierung hält MEND für eine Tarnorganisation des organisierten Verbrechens, das mit Rohölschmuggel Milliardeneinnahmen aus Nigerias legaler Wirtschaft abzweigt, und bekämpft sie mit einer Militäroperation namens „Restore Hope“.
Die jüngste Eskalation begann vor einer Woche. Am vergangenen Dienstag hatten die MEND-Rebellen den Ölkonzernen im Niger-Flussdelta bis Freitag 24 Uhr gegeben, um ihre Arbeit einzustellen und das Gebiet zu verlassen. Ansonsten werde eine Operation „Schwarzer Februar“ beginnen, erklärte die radikale Gruppe. Man werde „jeden Fremden im Niger-Delta jagen“. Nachdem ihr Ultimatum ergebnislos verstrich, erklärten die Rebellen am Samstag den „Ausnahmezustand“ und nahmen neun ausländische Ölarbeiter als Geiseln, darunter drei US-Amerikaner. Aus Angst vor Raketenangriffen schloss Shell, größter ausländischer Ölförderer Nigerias, am Wochenende eine Ölplattform im Meer vor der nigerianischen Küste und stellte damit zusätzlich zum Ausfall von Forcados die Förderung von 115.000 Barrel Öl täglich ein. Gestern begann der Konzern, Mitarbeiter aus entlegenen Gebieten des Niger-Deltas zu evakuieren. Die internationalen Ölpreise stiegen auf 61,40 Dollar pro Barrel.
Am Sonntag ordnete Staatschef Olusegun Obasanjo eine Suspendierung der Militäroperation „Restore Hope“ an, um Gespräche zu ermöglichen. Zugleich aber wurden zusätzliche Soldaten nach Warri geflogen, in Vorbereitung auf einen Militärschlag. Ein Politikertreffen in Warri, auf dem der respektierte Ijaw-Zivilpolitiker Chief Edwin Clark auftreten sollte, wurde bereits am Freitag mit einem massiven Polizeiaufgebot verhindert und Clark mehrere Stunden lang festgehalten.
Ijaw-Sprecher im britischen Exil bezichtigten die nigerianischen Behörden wegen der Luftangriffe der vergangenen Woche des „Völkermords“. „Wie kann die Regierung unser Volk mit Flugzeugen bombardieren, die sie mit Geld aus unserem Öl gekauft hat?“, fragte der Ijaw-Sprecher Joseph Evah.