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Archiv-Artikel

Baden-Württemberg wirbt um muslimische Seelsorger

PROJEKT Regel statt Ausnahme: Mannheimer Institut will islamische Krankenhausseelsorge etablieren

Auch die stark nachgefragte christliche Seelsorge könnte so entlastet werden

STUTTGART taz | Im Süden Baden-Württembergs soll eine Ausnahme zum Standard werden: Krankenhausseelsorge für Muslime. Das Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog ruft Muslime dazu auf, sich als ehrenamtliche Krankenhausseelsorger zu engagieren. Denn: Bei schweren Krankheiten und in Krisensituationen fehlt Muslimen oftmals eine Begleitung durch Seelsorger, die ihre Sprachen sprechen und den kulturellen und religionsspezifischen Hintergrund haben. Das möchte das Mannheimer Institut ändern – und muslimische Freiwillige aus der Bodenseeregion ab Herbst mit einer sieben- bis neunmonatigen Ausbildung zum Seelsorger qualifizieren.

Das Thema ist nicht neu: Bereits von 2008 bis 2010 förderte Bundesinnenministerium Pilot-Ausbildungsgänge für muslimische Seelsorger. Inzwischen gibt es in verschiedenen Städten, etwa in Berlin, Köln, Hannover oder Nürnberg, entsprechende Krankenbegleiter. Was jedoch bislang noch weitgehend fehlt, ist eine Versorgung in der Fläche.

„Wir wollen dazu beitragen, dass muslimische Seelsorge zur Normalität wird“, sagt Alfred Miess, der das Projekt Islamische Seelsorge leitet. Nicht nur, dass die Anzahl an muslimischen Patienten steige. „Sie sind, ähnlich wie Menschen in unserer Mehrheitsgesellschaft, in kritischen Situationen oft allein, weil auch deren Familien nicht mehr so in ihren Strukturen gefestigt sind. Die Eltern wohnen in Hamburg, die Kinder studieren in München.“

Miess selbst hat lange Zeit in den Niederlanden gearbeitet, wo es schon seit Langem multikulturelle Teams für alle Religionen gebe. „Vielleicht wächst das in unserem Einwanderungsland Deutschland auch ganz allmählich“, hofft er. Auch christliche Seelsorger, deren Betreuung nach Aussagen von Kirchenvertretern stark nachgefragt wird, könnten so entlastet werden.

„Ich höre von allen Seiten, wie wichtig das Seelsorge-Angebot ist – für Menschen aller Religionen und auch für viele, die keiner Religionsgemeinschaft angehören“, sagt Sabine Kast-Streib, die bei der Evangelischen Landeskirche in Baden die Abteilung Seelsorge leitet. „Wir wären froh, wenn wir mehr Personal hätten.“

Erste Erfahrungen mit einem Ausbildungsprogramm hat das Mannheimer Institut bereits in der Metropolregion Rhein-Neckar gesammelt.

Dort startete vor knapp einem Jahr ein Ausbildungsjahrgang, die ehrenamtlichen Helfer sind nun an insgesamt 21 Krankenhäuser in der Region tätig. Hier und da gebe es zwar am Anfang Berührungsängste, weil die beteiligten Seiten – die christlichen Krankenhäuser auf der einen Seite, die muslimischen Azubis auf der anderen Seite – zu wenig voneinander wüssten. Doch insgesamt seien die Erfahrungen positiv. Vor allem entstünden allmählich Patientenströme zu den Krankenhäusern, an denen muslimische Seelsorger arbeiten. „Das spricht sich herum“, sagt Miess.

Die Ausbildung, die nun im Herbst in Kooperation mit Krankenhäusern in der Bodenseeregion starten soll, werde Themen wie den Umgang mit persönlichen Patientengeschichten oder Bestattungsriten beinhalten. Auch kritische Aspekte wie Abtreibung oder Beschneidung sollen auf dem Lehrplan stehen.

Wichtig sei auch der Aspekt Multikulturalität, sagt Miess. So dass die Seelsorger auch Menschen anderer Religionen bei Bedarf betreuen könnten. Das Personal ist eben knapp – und Trost braucht jeder. NADINE MICHEL