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Archiv-Artikel

„Wir brauchen den Aufstand der Zuständigen“

Im Kampf gegen den Rechtsextremismus muss man sich vor falsch verstandener Liberalität hüten. Politisch motivierte Straftäter müssen mit empfindlichen Strafen konfrontiert werden, sagt Dresdens Oberstaatsanwalt Jürgen Schär

taz: Herr Schär, es ist sicher unbestritten, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus nur dann erfolgreich ist, wenn er an dessen soziale und kulturelle Wurzeln geht. Kommt Ihnen die repressive Seite dennoch zu kurz?

Jürgen Schär: Es ist richtig, dass der Kampf gegen den Extremismus eine gesellschaftliche Aufgabe ist, aber nicht hinreichend. Denn es gibt auch eine konkrete Verantwortung. Gemeint sind die Bürger, aber auch der Staat und die Justiz. Ich warne vor der Gefahr der Verwässerung dieser Verantwortung, wenn man nebulös und allgemein von der rechten Gefahr spricht. Dem Appell zum „Aufstand der Anständigen“ muss auch jener zum „Aufstand der Zuständigen“ folgen.

Das meint konkrete Strafrechtsparagrafen?

Nicht alles, was verwerflich und amoralisch ist, ist auch strafrechtlich relevant. Strafverfolgung ist die Ultima Ratio und sollte es auch bleiben. Deshalb sollte man sie aber auch ernsthaft betreiben.

Wird die Schwere von rechtsextremistischen Straftaten unterschätzt, wird der Rechtsextremismus verharmlost?

Ich bin manchmal unzufrieden. Es gibt Richter, die aus falsch verstandener Liberalität heraus hier besondere Milde walten lassen. Sie meinen, politische Gewalt könne man unter dem Aspekt der Erziehung wirksam verfolgen. Das kann, muss aber nicht immer richtig sein. Gerade politisch motivierte Gewalttäter müssen mit einer empfindlichen Strafe konfrontiert werden. Wenn ich jemanden schlage, weil er anders ist, handele ich aus niedrigen Beweggründen.

Ist das ein Vorwurf an die Post–Achtundsechziger, die im Glauben an das Gute meinen, alles sei therapierbar? Sie scheinen sich einzufügen in den modischen Ruf nach härteren Strafen?

Die vermeintlich linke oder liberale Strafpolitik begeht meines Erachtens einen Fehler, wenn sie Strafrecht vor allem als Sozialtherapie sieht. Sie sollte auch das Sicherheitsbedürfnis bei Bürgern und Gesellschaft anerkennen. Strafrecht ist Ultima Ratio! Wenn man das verwässert, entwickelt sich die Gefahr, dass andere Dinge im rechtsfreien Raum Ultima Ratio werden.

Aussteigerprogramme setzen aber gerade auf Einsicht und Besserungsfähigkeit.

Das schließt einander nicht aus. Wenn es sich um organisierte Gewalt aus Gruppen-Schutzräumen heraus handelt, dann muss ich auch Strukturverfolgung betreiben. Ich spreche mich ja schon lange dagegen aus, dass die Behörden, eher spontan, zufällig und den einzelnen Sachverhalt betreffend Strafverfolgung betreiben. Nach meinen Erfahrungen mit den „Skinheads Sächsische Schweiz“, der größten Kameradschaft in Sachsen, konnte aber ebenso die Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen Wirkung erzielen. Von den 130 Betroffenen sind wenigstens 100 wieder ins normale Leben aufgestiegen. Aber wer einmal die Chance hatte, auf Bewährung davonzukommen oder zu einer Jugendstrafe verurteilt zu werden, dem sollte sie nicht wiederholt geboten werden. Das ist aber leider nicht immer die Praxis.

Zielt diese Kritik generell auf das Strafrecht oder zielt sie auf die praktische Intensität der Strafverfolgung?

Ich bin kein Scharfmacher und will das Jugendstrafrecht nicht aushebeln, aber man sollte es im ursprünglich gewollten Sinne anwenden. Es ist nach meiner Überzeugung falsch, Heranwachsende generell als Jugendliche zu behandeln.

Das Verhalten eines zwanzigjährigen Rädelsführers, der in dem Alter schon Abgeordneter sein könnte, kann nicht mit jugendlicher Gruppendynamik entschuldigt werden. Mit der gerichtlichen Praxis bin ich unzufrieden, wenn bei Gewalttaten Verfahren ein Jahr und länger liegen und in der Berufung vielleicht noch einmal so lange brauchen.

Was können Sie als Staatsanwalt tun?

Wir als Staatsanwaltschaft handeln zwar selbstständig und unabhängig. Aber wir sind auch weisungsgebunden, was wir rechtspolitisch kritisieren. Außerdem kann ich Ressourcen in bestimmte Richtungen konzentrieren und so Verfolgungsintensität politisch steuern.

Vorsichtiger kann man Kritik kaum ausdrücken. Wird an die Opfer zu wenig gedacht?

Der Strafanspruch ist ja historisch gesehen vom Opfer hinübergewachsen auf den Staat. Deshalb hat der Staat besondere Verpflichtungen gegenüber dem Opfer auch im Strafprozess. Deshalb muss er das Opfer auch als Subjekt und nicht nur als Beweismittel behandeln. Das erfordert den aufmerksamen Polizeibeamten, den couragierten Staatsanwalt und den fürsorglichen Richter, der einschreitet, wenn die andere Seite das Opfer zum Angeklagten machen will.

Neben der Gewalt werden gegenwärtig die Propagandadelikte immer häufiger.

Hier haben wir in den letzten Jahren versucht, grenzüberschreitend vorzustoßen, um Produzenten und Vertriebe der Nazi-Medien stillzulegen. Ich wünschte mir auch zumindest für den Freistaat Sachsen eine Zentralstelle, ein Register indizierter Medien. Da passiert manches nicht so koordiniert.

INTERVIEW: MICHAEL BARTSCH