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Archiv-Artikel

„Da wird manipuliert“

PROTESTE Der tunesische Aktivist Moncef Zghidi zum Streit über Neuwahlen und die Verfassung

taz: Herr Zghidi, seit zehn Tagen demonstrieren Tausende vor dem Parlament für die Absetzung der islamistisch dominierten Regierung. Was erwarten Sie?

Moncef Zghidi: Man will, dass diese einseitig islamistische Regierung ihr Scheitern eingesteht und dass eine Technokratenregierung die Macht übernimmt.

Wie soll so eine eine Regierung gebildet werden?

Aus dem Dialog aller Parteien. Das war schon einmal ein Vorschlag des im Februar zurückgetreten Ministerpräsidenten der Ennahda, Jebali. Damals hat man einige Minister ausgewechselt – und nichts ist besser geworden. Die Opposition fühlt sich davon getäuscht.

Warum nimmt man den Vorschlag von Ennahda nicht ernst, Wahlen am 17. Dezember abzuhalten? Warum nagelt man sie nicht darauf fest?

Das ist schon das zigste Mal, dass so etwas versprochen wird, und immer wieder wird der Termin verschoben. Sie festigen währenddessen ihre Macht in den Regionen. Fast alle Gouvernements sind in Händen von Ennahda. Da ist es schwer, faire Wahlen auszurichten. Da wird manipuliert. Aber die Crux ist: Sie haben ein Problem mit der Verfassung.

Welches?

Sie streiten sich darüber, wie man universelle Werte mit den islamischen in Einklang bringt. Tunesien ist das einzige islamische Land, das die Scharia überhaupt nicht in der Verfassung hat. Das versuchen sie immer wieder zu ändern. Sie wollen die Scharia reinschmuggeln.

Warum musste man eine neue Verfassung ausarbeiten? So schlecht war die alte nicht?

Das ist ein Mythos, man dachte, die zweite Republik braucht eine neue Verfassung. Das ist in der Euphorie der Revolution gefordert worden. Inzwischen sieht man das sehr skeptisch.

Welche Probleme hat die Opposition mit Neuwahlen?

Keine. Aber innerhalb von einem halben Jahr, wie Ennahda es versprach, ist das nicht zu machen. Frühestens im März – wir brauchen erst eine Wahlkommission.

Sind Sie skeptisch, was die Zukunft betrifft?

Nein, ich bin nicht skeptisch, aber realistisch. Wir brauchen mehr Kompetenz, mehr Ehrlichkeit. Und wir brauchen Neuwahlen. Aber ich glaube, wir sind an einem Tiefpunkt, von dem es nur aufwärts gehen kann.

INTERVIEW: EDITH KRESTA