: Rassismus? Ich doch nicht …
Von Freitag bis Sonntag findet zum zweiten Mal das Festival gegen Rassismus in Berlin statt. Neben der Vernetzung steht vor allem die Reflexion im Fokus der Veranstaltung
Das Festival 2013 unter dem Motto „Rassismus geht uns alle an! Reflektieren und kämpfen! Widerstand vernetzen!“ bietet ein umfangreiches Programm mit Diskussionen, Workshops, Filmen, Theater, Livemusik und Lesungen auf einer Bühne und fünf Zelten
■ Wann? Freitag, den 16. August bis Sonntag, den 18. August
■ Wo? Blücherplatz Kreuzberg
(nahe U-Bahnhof Hallesches Tor)
Als „Hüpfburg gegen Rassismus“ wurde das 1. Festival gegen Rassismus im vergangenen Jahr teils bezeichnet. Dass es viel mehr ist als das, belegen die Früchte, die das bevorstehende zweite Festival nun austrägt. So ist der Unterstützerkreis von ursprünglich 39 auf 53 Initiativen angewachsen. Dazugekommen sind beispielsweise die Antirassistische Initiative Rostock und der Flüchtlingsrat Berlin.
An entsprechendem Umfang hat auch das Veranstaltungsprogramm zugenommen, weshalb nun anstatt drei schon fünf Zelte neben der Bühne aufgebaut werden. Dort kann man nicht nur hüpfen, sondern sich auch eine Auswahl von Dokumentarfilmen anschauen und an Diskussionen teilnehmen. Im Übrigen finden, in Anlehnung an das Programm vom Vorjahr, Workshops zu Themen wie „Strategien gegen Rassismus“ und der „Lage von Flüchtlingen in Griechenland“ statt. Trotz des Zuwachses für das Festival ist es dem aus knapp 80 ehrenamtlichen Helfern bestehenden Festivalteam gelungen, aufgrund der Erfahrungen aus dem letzten Jahr die Organisation dieses Mal in kürzerer Zeit abzuwickeln.
„Es herrscht eine große Solidarität unter den Aktiven. Vom Kochteam bis zur Logistik beruht alles auf dem freiwilligem Engagement vieler Einzelpersonen“, berichtet eine Beteiligte. Und so wird der Vernetzungsgedanke des Festivals, das dieses Wochenende unter dem Motto „Rassismus geht uns alle an! Reflektieren und kämpfen! Widerstand vernetzen!“ stattfindet, zur Wirklichkeit. Vielleicht ist gerade die Form der Organisation der Grund des sich abzeichnenden Sogeffektes des Festivals.
Aber auch die Selbstreflektion und das Kämpfen gehört nach den Veranstaltern nicht nur mottogemäß neben der Vernetzung zu einem der Schwerpunkte des Festivals. „Wir wollen, dass Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, als handlungsfähige Subjekte wahrgenommen werden“, meint eine Aktivistin. „Und solange in der Mehrheitsgesellschaft keine Reflektion und Auseinandersetzung mit dem Rassismus stattfindet, wird der Widerstand gegen Rassismus auch keinen gesellschaftlichen Wandel erreichen können.“ Dem fügt sie hinzu: „Jeder muss bei sich selbst anfangen, den Rassismus zu bekämpfen.“ Gerade dies gehöre zu einem der Kernprobleme des Rassismus.
Viele Menschen betrachten den Rassismus als eine Randerscheinung der Gesellschaft und reagieren empfindlich auf Vorwürfe, rassistisch zu sein. So lässt es sich gemütlich leben. Aber beschränkt sich Rassismus wirklich nur auf einige Randgruppen? Kann man die NPD mit ihren bescheidenen 1,5 Prozent bei der letzten Bundestagswahl als exklusive Vertreterin des Rassismus in Deutschland ansehen, der sich allein durch Bemühungen um ein Parteiverbot aus der Welt schaffen lässt? Sind nur die 184 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990 ein Ausdruck von Rassismus?
Oder ist nicht gerade diese Denkweise das verbissen Gefährliche an dem Rassismus, der sich durch alle Schichten hinweg in unterschiedlichster Weise äußert? Dafür gibt es genügend Hinweise. Anders lässt es sich nicht erklären, warum in Bewerbungsverfahren Bewerber mit türkischen Namen trotz gleicher Qualifikation auffällig schlechtere Chancen haben, als Bewerber mit deutschen Namen. Und anders lässt es sich auch nicht erklären, wie die mit dem NSU in Verbindung gebrachte Mordserie von weiten Teilen der Presse jahrelang als „Döner-Morde“ getitelt wurde, womit die Opfer aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert wurden.
Es ist schon bedenklich, dass gerade Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich selbst ab“ zu den meistverkauftesten Sachbüchern seit der Gründung der BRD gehört. Vor allem ist aber bedenklich, dass erst der UN-Antirassismusausschuss Deutschland empfehlen musste, seine Herangehensweise bei der strafrechtlichen Verfolgung von Vorwürfen der Verbreitung rassistischen Gedankenguts zu überprüfen. Thilo Sarrazin, bis heute Mitglied einer großen deutschen Volkspartei und wegen seiner Äußerungen unverurteilt, ist jedenfalls immer noch fest davon überzeugt, kein Rassist zu sein.
Neben der Beschäftigung mit der Reflektion setzen sich die Veranstalter mit systemkritischen Bewegungen auseinander. Nicht nur Kritik am Konsum und die Frage nach Fluchtursachen stehen dabei im Fokus. So unterstützt etwa die Mietergemeinschaft Kotti & Co. auch das Festival. „Unter ihr sind viele Familien mit Migrationshintergrund von der schleichenden Gentrifizierung betroffen“, erzählt eine Aktive. Zwischen den beiden Gruppen besteht eine feste Solidarität. So mündete eine der Lärmdemonstrationen von Kotti & Co. im vergangenen Jahr auf dem Gelände des Festivals.
FELIX KLICKERMANN, QUANG HUY LE