: Das Amt stellt die Schuldenfalle
In Hartz-IV-Zeiten haben nur noch diejenigen eine Aussicht auf Hilfe zur Entschuldung, deren Jobchancen einigermaßen rosig sind. Alle anderen bleiben im Teufelskreis Schulden gefangen
von EIKEN BRUHN
K-A-N-N – diese Buchstabenkombination sollte man sich merken. Sie entscheidet darüber, ob ein Mensch auf seinen Schulden sitzen bleibt oder eine Aussicht auf Hilfe hat. Schuldnerberatung – ohne die eine Entschuldung nicht möglich ist – auf Staatskosten bekommt in Hartz-IV-Zeiten nur noch, wer eine Chance darauf hat, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. In Ablehnungsbescheiden wird darauf hin gewiesen, dass seit dem 1. Januar 2005 im Sozialgesetzbuch von einer „Kann-Bestimmung“ die Rede ist, es also im Ermessenspielraum der Sachbearbeiter bei den Kommunen liegt, ob sich im Einzelfall die Finanzierung einer Schuldnerberatung überhaupt „lohnt“, ob die Schulden einer Erwerbstätigkeit im Wege stehen. Dabei werden die Schuldner nicht weniger. Laut aktuellem Schuldenatlas stellten im vergangenen Jahr bundesweit fast 100.000 Verbraucher einen Insolvenzantrag, 25 Prozent mehr als im Jahr davor.
Besonders deutlich zu spüren bekommen die Neuregelung jetzt die Beratungsstellen in Bremen, die in der Vergangenheit im Vergleich zu ihren niedersächsischen Pendants relativ gut ausgestattet waren. Während man im Nachbarland im Schnitt ein halbes Jahr auf einen Termin warten muss, schafften es die Bremer bisher noch, jemand nach 14 Tagen ein Gespräch anzubieten. Seit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe vor etwas über einem Jahr ist man beim Amt „etwas zurückhaltender geworden“, was die Übernahme der Kosten für einen begleiteten Schuldenabbau angeht, wie es Willi Albers, Mitarbeiter der Inneren Mission vorsichtig formuliert. „Wenn die Arbeitsmarktnähe fehlt, jemand also schon etwas älter ist oder drogenabhängig, sind die Aussichten sehr gering.“
Deutlicher wird Margot Müller, Geschäftsführerin der Solidarischen Hilfe, ein Verein, der in Bremen an drei Standorten Schuldnerberatung anbietet. Ein Drittel bis die Hälfte der Anträge werde von der zuständigen Stelle, der Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis), seit Beginn des Jahres abgelehnt.
Auffällig ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Verantwortung für die so genannten flankierenden Maßnahmen wie die Schuldnerberatung vom Sozialamt an die Bagis übergegangen ist. „Wir vermuten, dass es eine interne Dienstanweisung gibt“, sagt Müller, mehrere Mitarbeiter der Bagis hätten das bestätigt.
Die Sprecherin der Bagis, Angela Wessel, dementiert das – allerdings noch bevor sie danach gefragt worden wäre. Sie verweist auf die Kann-Bestimmung und darauf, dass von Fall zu Fall entschieden wird. „Die Kriterien sind fließend.“
Mit einem Beispiel macht Wessel deutlich, woher der Wind weht: Eine überschuldete Frau mit kleinen Kindern habe die Hilfen nicht bewilligt bekommen, weil sie dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung steht, daher auch nicht entschuldet werden muss. Dass sie damit im Teufelskreis Schulden gefangen bleibt, ist nicht das Problem der Bagis, schließlich geht es dort um die Vermittlung von Arbeitslosen und nicht um Sozialarbeit. Möglich, dass die Frau wegen der Schulden Miete und Gasrechnung bald nicht mehr zahlen kann, möglich, dass sie sich weiter verschuldet, möglich, dass sie aus Frust anfängt zu saufen, möglich, dass sich ihre Jobaussichten nicht erhöhen und deshalb eine Entschuldung in fünf Jahren, wenn die Kinder größer sind, auch nicht bewilligt wird. „Ob das gerecht ist, darüber kann man natürlich diskutieren“, sagt Bagis-Sprecherin Wessel.
Margot Müller und ihre KollegInnen von der Solidarischen Hilfe treiben Szenarien wie dieses die Palme hoch. Ein solche Haltung gehe davon aus, „dass Integration in den Arbeitsmarkt eine Frage von ein paar Wochen ist“, sagt Müller, „nach dem Motto, ich habe in 14 Tagen ein Bewerbungsgespräch, ich muss mich schnell noch mal entschulden“.
Sechs Jahre dauert es bei Verbraucherinsolvenzen, bevor jemandem die Schulden erlassen werden. In dieser Zeit muss die Schuldnerin beweisen, dass sie mit Geld umgehen kann. Und bevor ein solches Verfahren überhaupt gerichtlich eingeleitet wird, vergehen noch einmal sechs Monate bis drei Jahre.
Zeit, in der die Kinder in aller Ruhe groß werden können. Die Behörde hat ja Zeit.