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Archiv-Artikel

Mehr als ein Spiel

ENTWICKLUNG Vom Alternativprojekt zum Sportbuch: Der Göttinger Verlag „Die Werkstatt“ kommt aus der Anti-AKW-Bewegung und verlegt heute vor allem Fußballbücher

Richtiges Geld wird vor allem mit großformatigen Bildbänden verdient

VON JAKOB EPLER

Fußball ist mehr als ein Spiel. So steht es zumindest auf einem Plakat in Bernd Beyers Büro. Beyer ist einer der drei Geschäftsführer des Göttinger Sportverlags „Die Werkstatt“. Er sitzt mit verschränkten Armen in einem schwarzen Stuhl. Hinter ihm steht ein Regal voller Sachbücher, vom „Tor nach Osten“, das von Osteuropas Fußballgeschichte handelt, über Ben Redelings Fußball-Sprüchesammlungen bis zum opulenten Fußball-Bildband.

„Fußball ist eigentlich das einzige Thema, das wir machen“, sagt Beyer. „Eigentlich“ heißt, dass es daneben noch eine Kochbuchreihe, aber auch Bände wie „Sotschi 2014“ gibt. Trotzdem, 90 Prozent des Programms seien Fußballthemen. Das war nicht immer so.

Die Geschichte des Verlags beginnt 1981. Damals ging es um Umwelt und Frieden: „Wir sind hier in Göttingen als typisches Alternativprojekt entstanden.“ Beyer verlegte zusammen mit Bernd Weidmann, Erich Schünemann und Gert Schwab die ersten Bücher. Außer Schwab arbeiten alle bis heute als Geschäftsführer im Verlag.

Die vier Verleger engagierten sich in Bürgerinitiativen und grün-alternativen Gruppierungen. Sie standen der Anti-AKW- sowie der Friedensbewegung nah und schrieben für alternative Publikationen wie den Atom Express. Als Teil der Szene wollten sie ihr Literatur und Material liefern. „Und wir haben alles mögliche gemacht: Bücher, Aufkleber und Plakate gedruckt, aber auch Unterrichtseinheiten für Lehrer konzipiert.“

1986 erschien „Atomkraft am Ende?“. Der Titel hatte Startschwierigkeiten, verkaufte sich dann aber gut – weil drei Wochen nach Erscheinen der Super-GAU in Tschernobyl passierte.

Die Idee mit dem Fußball kam sechs Jahre später. Die Anti-AKW-Bewegung hatte ihren Höhepunkt hinter sich und vor allem das Thema Umwelt sei inhaltlich erschöpft gewesen, sagt Beyer. „Man kann nicht immer wieder neu Atom- oder Klimakatastrophen ausmalen.“

Beyer steht auf und kramt in seinem Regal. Unten rechts findet er schließlich das „Klimaaktionsbuch“. Ende der 1980er hatte die Werkstatt das Buch zusammen mit Robin Wood herausgebracht. „Die Zahlen, die da drin stehen, sind heute ein bisschen anders, aber im Grunde gilt das alles heute noch.“ Es habe in der Luft gelegen, dass „wir uns thematisch öffnen mussten, wenn wir als Verlag und nicht nur als Hobby oder politisches Projekt weitermachen wollten“.

1992 verlegte die Werkstatt also ihr erstes Fußballbuch: Dietrich Schulze-Marmelings „Der gezähmte Fußball“. Aus Fansicht wurde hier der Sport kritisch beleuchtet. Das hatte es vorher kaum gegeben.

Das Buch passte in die Zeit: 1990 hatte Deutschland die Weltmeisterschaft gewonnen und Fußball reifte zum Massenphänomen. Linke Autoren hatten die intellektuelle Beschäftigung mit dem Sport losgetreten: Vor allem beim FC St. Pauli etablierte sich eine Fanszene, die sich als dezidiert links verstand und den Stadionbesuch politisch auflud.

„Der gezähmte Fußball“ kam gut an. „Da haben wir dann schon gesehen, dass das ein interessantes Feld ist, wo wir ein anspruchsvolles und verkaufbares Buch zusammen bringen können.“

Das Alternativprojekt ist inzwischen ein Unternehmen mit rund 50 Angestellten. Es gebe immer noch den Anspruch, kritische und politische Bücher zu verlegen, sagt Beyer.

Bücher der Werkstatt wurden dreimal zum Fußballbuch des Jahres gekürt und eines ist auch in diesem Jahr wieder auf der Shortlist der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur vertreten. „Wenn die eine Auflage von 5.000 haben, dann ist das schon ganz gut für ein kritisches Taschenbuch. Aber darauf kann man schlecht einen Verlag aufbauen.“ Richtiges Geld wird also vor allem mit großformatigen Bildbänden verdient. „Wir haben gerade ein dickes Buch über’s Triple der Bayern gemacht“, erzählt Beyer. „Das ist jetzt nicht gerade ein inhaltliches Highlight der Verlagsgeschichte, aber es verkauft sich ordentlich.“

Außerdem lassen fast alle Erst- und einige Zweitligisten von der Werkstatt ihre Vereinschroniken auf Papier bringen. Biografien wie die vom aktuellen Bayern-Trainer Josep Guardiola runden das Portfolio ab.

Auch ein paar Romane sind für das kommende Jahr geplant: Da geht es dann unter anderem um eine Selbsthilfegruppe von Hardcore-Fans, die endlich vom Rasensport loskommen wollen. Ein schwieriges Unterfangen. Fußball ist eben mehr als ein Spiel.