: Von der Masse zur Marke
Die Internet-Tochter der „Bild“-Zeitung verdient so viel Geld mit ihren so genannten Volksprodukten, dass sie nun gegen Volkswagen vor Gericht zieht – geklärt werden soll, wem das „Volks-“ gehört
von ARNO FRANK
Wie das Handelsblatt gestern berichtete, wird es vor dem Hamburger Landgericht demnächst zu einem kuriosen Rechtsstreit kommen. Dabei soll dem Autobauer Volkswagen künftig verboten werden, seine etablierte „Volks“-Marke für bestimmte Produkte zu verwenden. Welche das sein könnten, zeigt ein Blick auf den Kläger: Bild.T-Online, die Internet-Tochter der Bild-Zeitung und Teil des Axel Springer Verlages, verdient gutes Geld mit der regelmäßigen Verhökerung von Volks-Handys, Volks-Computern, Volks-Bausparverträgen, Volks-Schuhen, Volks-Spülmaschinen, Volks-Bibeln und allen anderen Produkten, für die sich ein Partner findet.
Weil beide, Volkswagen wie Springer, ihre „Volks“-Marke für bestimmte Bereiche geschützt haben, wird es vor Gericht wohl um eine präzisere Abgrenzung der Warengruppen gehen – also ums Geschäft, was einen interessanten Schluss nahe legt: Je seltener das Wort „Volk“ in den entsprechenden politischen Diskursen verwendet wird, desto häufiger macht es Karriere in der Wirtschaft. In der Soziologie wird lieber von „Gesellschaft“ oder „Gemeinschaft“ gesprochen, die Völkerkunde (Europäische Ethnologie) hat den Begriff deutlich eingeengt (etwa auf „Volksstämme“), und in den Medien ist überall dort von „Basis“, „Ethnie“ oder „Masse“ die Rede, wo vorher nur Volk war.
Zuletzt war es der Künstler Hans Haacke, der mit einer Installation im Innenhof des Reichstages demonstriert hat, wie schwer sich die Deutschen noch immer mit einem solchen Sammelbegriff tun. Haacke wollte mit dem Neon-Schriftzug „Der Bevölkerung“ ein Gegengewicht setzen zur Aufschrift „Dem deutschen Volke“, die über dem Portal des Reichstages prangt. Damit löste er eine hitzige Debatte quer durch alle politischen Lager aus und berief sich auf ein Zitat von Brecht: Die Abgeordneten von heute seien nicht einem „mythischen Volk, sondern der Bevölkerung verantwortlich“.
Dabei ist es vor allem die westdeutsche Linke, die den belasteten Begriff am liebsten aus dem Duden gelöscht hätte. Tatsächlich waren es die Nationalsozialisten, die sich alles Völkische rechtlich schützen ließen und die Volksgemeinschaft mit Volksempfängern, Volkswohnungen, Volkskühlschränken und Volkswagen beglückten – alles „Volksprodukte“ nach dem Vorbild der Massenproduktion US-amerikanischer Prägung, die erschwingliche Qualität für die Masse versprachen. Das Image rettete sich unter dem Label „Made in Germany“ in die junge Bundesrepublik, wenn eben auch unter Verzicht auf jeden „völkischen“ Beigeschmack und damit erfolgreich entnazifiziert.
In der DDR dagegen wurde das „Volk“ offensiv umgedeutet. In der Volkskammer oder der Volksarmee sollte nicht der NS-Volksgerichtshof nachhallen, sondern eine im Dritten Reich verschüttete Bedeutung von „Volk“ als Mittel- und Unterschicht einer Gesellschaft – Arbeiter und Bauern eben. Die „Wir sind das Volk“-Transparente der Demonstranten von 1989 enthüllten unter anderem, wie wirkungsmächtig das Wort trotz (oder gerade wegen) der offiziellen Propaganda geblieben ist.
Kein Wunder, denn das „Volk“ ist zäh. Erstmals belegt ist das allgemein-germanische „fulka“ im 8. Jahrhundert nach Christus, wo es ursprünglich „viele gleichartige Leute“ bezeichnet, die alle durch gemeinsame Merkmale verbunden sind.
Poststrukturalisten wie Michael Hardt und Antonio Negri haben zu Recht darauf hingewiesen, dass allein schon der Begriff „Volk“ dazu angetan ist, eine heterogene Gruppe von Menschen einander anzugleichen und nach außen abzugrenzen – was bei einem neutralen Begriff wie „Menge“ nicht der Fall sei.
Was vom Volke übrig blieb? Eine lukrative Marke, über deren Eigentümer nun das Gericht entscheiden soll. Ein Urteil wird am 6. April erwartet. Im Namen des Volkes, versteht sich.