: Kichern war gestern
Stephen King kann von ihr nicht genug kriegen: die neue Highschool-Krimi-Serie „Veronica Mars“ (Sa., 14.15 Uhr, ZDF), in der Film-noir-Stil und TKKG-hafte Fälle eine ganz eigene Spannung aufbauen
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Joss Whedon, Mastermind von „Buffy, the Vampire Slayer“, findet die Serie „ein klein wenig makellos“. Stephen King kann gleich gar nicht mehr aufhören zuzukucken. Aber der großen TV-Watcher-Mehrheit in den USA geht es wohl nicht so. „Veronica Mars“ leidet auf dem Netzwerk UPN unter starkem Quotenschwund – und wurde kürzlich auf einen deutlich unattraktiveren Timeslot verschoben. Euphorisierte Kritiker zeigen sich ratlos. Und das ZDF, wo „Veronica Mars“ heute auf einem maximal unattraktiven Kindersendeplatz am sehr frühen Nachmittag anläuft, hat es gleich unterlassen, den Serienstart in größerem Maßstab zu promoten.
Hätten sie aber schon machen können. Denn Veronica Mars gebärdet sich in Ansätzen wie die neue „Buffy“. Erst mal sieht die Serienheldin (Kristen Bell) ein bisschen so aus wie „Buffy“-Darstellerin Sarah Michelle Gellar, gut, blond, klein, fester Blick, schwellende Lippen mit Gloss drauf. Dann ist auch sie eine 17-Jährige, die den nicht zu knappen Widrigkeiten in ihrem Leben begegnet, indem sie sich obersouverän in einer für eine Highschool-Schülerin irgendwie unpassenden Parallelwelt beweist.
Geht Buffy nachts auf Slayer-Tour und meuchelt albtraumhafte Kreaturen, hat man Veronica Mars‘ Heldinnenterrain etwas näher an mögliche Realitäten angelehnt: Sie ist nach der Schule Detektivin. Ist Buffys kalifornische Stadt Sunnydale eine Pforte zur Welt der Untoten, hat Veronicas Stadt Neptune ein anderes explosives Setting: Schwerreiche leben neben denen, die für sie arbeiten. Die Jeunesse dorée wartet nach der Schule am Pool auf den nächsten Schulball, während die anderen in Kiosken jobben oder gleich zur Latino-Motorradgang verschmelzen.
Drinnen vs. draußen – das ist bei „Veronica Mars“ das Thema. Und die Heldin, die mal drinnen war und jetzt draußen ist, rächt sich mit ihren Waffen: mit Kamera, Feldstecher, Abhörwanzen, Computerskills, schnellem Hirn und Mundwerk. Vor wenigen Monaten wurde ihre beste Freundin Lilly Kane, die Tochter eines Software-Magnaten, ermordet. Veronicas Vater Keith Mars, damals noch Chef-Sheriff von Neptune, ermittelte gegen Lillys Vater und wurde deshalb vom Dienst suspendiert. Daraufhin verließ Veronicas Mutter über Nacht ihre Familie. Seitdem arbeitet Keith Mars als Privatdetektiv – und Veronica hilft ihm nach der Schule.
Der Mord an Lilly Kane blieb unaufgeklärt, alle Freunde haben sich von Veronica abgewandt, ihr Freund Duncan, der Bruder von Lilly, hat sie ohne Vorwarnung sitzen gelassen. Auf einer Party wurde Veronica kurz nach dem Mord an Lilly vergewaltigt. Daraufhin hat sie hat sich in Kürze vom langmähnigen Mädchen, das kichrig am ersten Schlückchen Alkohol nippt und noch kichrigerer in der Vorahnung des ersten Geschlechtsverkehrs steckt, zu einer Outcast-Amazone gewandelt: Sie trägt die Haare kurz und strubbelig, steckt in Urban Alternative Streetwear, hat einen Terrier und ein Elektroschockgerät an ihrer Seite. Kichern war gestern, heute ist Maul aufmachen, wach bleiben, sich nichts vormachen lassen, gerne auch mal Macho-Poser-Attitüden vorführen.
Mord, Vergewaltigung, Familienverlust, Identitätsneukonstruktion: ein ganz schöner Klops für eine Teenie-Serie. Veronica Mars arbeitet während der gesamten ersten Staffel daran, dieses düstere Setting aufzudröseln – herauszufinden, wer Laura Palmer, äh, Lilly wirklich ermordet hat, und ihre Familie wieder zusammenzubringen. In diesen Plotrahmen werden kleinere, harmlosere Detektiv-Fälle eingeschaltet: Im TKKG-Stil deckt Veronica extrem clever und smart Mauscheleien bei der Schülervertreter-Wahl auf und sucht nach entführten Schulpapageien. Dieses Spiel mit den beiden narrativen Ebenen – leichtgewichtige Knobelrätsel auf der einen, das düstere Geheimnis auf der anderen Seite – macht den Charme von „Veronica Mars“ aus. Highschool-Komödie trifft auf Twin Peaks – danke, dass sich andere Kritiker schon die Genrebezeichnung „Teengirl Noir“ für die Serie ausgedacht haben.
Und trotzdem: Es fehlen die Ambivalenzen und Kunstgriffe, die „Buffy“ hatte. Die Figuren haben wenig Entwicklungsspielraum, die Dialoge sind zu perfekt, zu pointenfixiert. Veronica löst Fälle mit maschinenhafter Straightness – niemals auch nur ein Vertun. Dass der Schulneuling Wallace auch nur einen Moment als eventuelles Liebesobjekt zur Disposition stünde – weit gefehlt. Er ist schwarz, muss als neuer bester Freund den launigen Sidekick geben und sich zur Partnerinsuche unter den schwarzen Mädchen umsehen. Eine filigrane lesbische Liebesbeziehung etwa oder eine Folge, in der gar nicht geredet wird – alles möglich gewesen bei „Buffy“, aber undenkbar bei Veronica Mars. Trotz aller schönen Ingredienzien – Kriminalgeschichte, Komödie, rächender Klassenkampf, niemals aus der Opferrolle geführter Geschlechterkampf und ein Soundtrack, der von den Streets, Dandy Warhols und Air kommt – ist die Serie zu glatt.
Und ihre Heldin letzten Endes eine strategisch planende, ultraflexible, hochmotivierte Managerin ihrer selbst – die ultimative Führungskraft in spe.