: Mehr Hunger, mehr Tore
HALBFINALE Inter gewinnt 3:1 gegen Barça und könnte seine jahrelange Fastenphase beenden
JOSÉ MOURINHO, TRAINER VON INTER MAILAND
AUS MAILAND TOM MUSTROPH
Inter hatte mehr Hunger“, diagnostizierte der Altinternationale Roberto Baggio. 45 Jahre dauert die Fastenphase der Nerazzurri im wichtigsten der europäischen Klubwettbewerbe schließlich schon an. Da knirschen die Kinnladen.
Das erfolgsgewohnte und möglicherweise gesättigte Barcelona deutete seine Qualitäten nur in der letzten halben Stunde an. Da zogen die Katalanen ein veritables, jedoch erfolgloses Powerplay auf. Den größten Einsatz sparten sie sich aber für den Stadiontunnel auf. Dort schimpften sie über das portugiesische Schiedsrichtertrio, das ihnen einen Elfmeter versagt und beim 3:1 für Inter eine Abseitsposition Militos übersehen habe.
„Willst du mit mir über Øvrebø sprechen?“, lächelte Mourinho gelassen, als Xavi nach dem Spiel erbost auf ihn zu eilte. Der norwegische Referee hatte in der letzten Saison eine entscheidende Rolle beim Weiterkommen Barcelonas gegen den FC Chelsea gespielt. Als Mourinho diese Episode auf der Pressekonferenz erzählte, lachten sogar die ihm sonst nicht sonderlich gewogenen Sportjournalisten. An diesem Dienstagabend war Mourinho nicht einmal in der dritten Halbzeit zu bezwingen.
Zuvor demonstrierte Mailands Trainer, wie einfach und schön Fußball sein kann. Geht raus und spielt, gab er seinen Mannen vor dem Kampf gegen den schier übermächtigen FC Barcelona auf den Weg. Um ihnen das Spielen zu erleichtern, verzichtete er sogar auf die erwartete taktische Revolution und ließ das Team im erprobten 4:3:1:2-System auf den Rasen laufen. „Die Mannschaft brauchte ein Zeichen des Vertrauens. Sie brauchte die Botschaft des Trainers, dass der Schlüssel zum Erfolg nicht nur im Verteidigen, Verteidigen, Verteidigen besteht“, erklärte er.
Seine Botschaft erreichte die Adressaten. Inter spielte. Der von Wesley Sneijder gut in Szene gesetzte Dreiersturm Pandev, Milito und Eto’o spielte Barças Abwehr streckenweise sogar schwindlig. Hätte Milito in der einen oder anderen Situation kühleren Kopf bewahrt, wäre Sneijder beim Alleingang auf Torwart Valdés nicht der Ball unglücklich auf den Fuß getropft und hätte der eingewechselte Balotelli in der Schlussphase auf Kooperation statt auf Eigensinn gesetzt – Barcelona wäre noch deftiger abgefertigt worden. So blieb es bei einem verdienten und deutlichen 3:1 nach Toren von Sneijder, Maicon und Milito.
Freilich, das Verteidigen vergaßen die Nerazzurri nicht. Mit einer entschlossenen Defensivleistung legten sie die Basis für den kaum erwarteten Erfolg. Ein erstes Signal setzte der argentinische Innenverteidiger Walter Samuel, als er den zum Durchbruch ansetzenden Zlatan Ibrahimović wuchtig, wenngleich nicht regelkonform, bremste. Ibrahimović blieb bei seiner temporären Rückkehr an die einstige Arbeitsstätte so blass, dass selbst die unsportlichsten Inter-Tifosi eine Zeit lang aus Mitleid die leider üblichen Beschimpfungen an seine Adresse unterließen.
Der zweite, bedeutsamere Hinweis für eine exzellente Abwehrarbeit kam von Cambiasso. Der spitzelte Messi noch in der Anfangsphase gekonnt den Ball vom Fuß. In der Folgezeit wurde das Dribbelgenie immer wieder von der Mittelfeldzange Cambiasso und Thiago Motta verteidigt.
„Sie haben die Partie im Mittelfeld gewonnen. Wir wollten dort regieren. Aber ihre starken Akteure haben das nicht zugelassen“, gestand Barcelonas Trainer Pep Guardiola. Für das Rückspiel versprach er: „Die 90 Minuten im Camp Nou werden lang werden für Inter. Wir wollen mehr als nur die zwei nötigen Tore erzielen.“ Während die Gazzetta dello Sport Inter Mailand in dicken Lettern als „imperial“ preist, ist Mourinho weniger euphorisch – ungewöhnlich für den Portugiesen. „Wir haben noch nichts gewonnen. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig“, schätzte er. „Über eine 1:2-Niederlage in Barcelona würde ich mich mehr freuen als über den Sieg heute.“ Mourinho muss befürchten: Spätestens mit dieser Niederlage hat der Hunger auf Erfolg wieder Platz an der katalanischen Tafel genommen.