: Die Kosten der Eskalation
Schon jetzt sorgen die Gerüchte über angeblich geplante US-Militärschläge auf den Iran für erhebliche Unruhe in der Region. Ein Angriff hätte kaum absehbare Folgen
Seit einigen Tagen droht der weltweite Ölpreis ein neues Allzeithoch zu erreichen; Experten sehen das Barrel bereits auf die 80-Dollar-Marke zumarschieren. Schuld daran sind immer neue Details über die Vorbereitungen eines US-Angriffs auf den Iran, die fast jeden Tag in der amerikanischen Presse durchsickern. Kurz nach dem bekannten Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh im New Yorker berichtete auch der frühere CIA-Mann William Arkin in der Washington Post, dass die Planungen für einen Militärschlag bereits weit fortgeschritten sein sollen: Hunderte von Zielen sollen ausgesucht und Undercover-Teams im Iran unterwegs sein, um sie für die US-Luftwaffe zu markieren. Heftigen Streit gebe es in der US-Führung allein um die Frage, ob zur Zerstörung unterirdischer Urananreicherungsanlagen „Bunker brechende Atomwaffen“ eingesetzt werden sollen. Hohe Offiziere sollen deshalb schon mit Rücktritt gedroht haben.
Die politischen und ökonomischen Folgekosten, wie es im Jargon der Militärplaner heißt, hält man in Washington offenbar für kalkulierbar. Mit der gleichen Ignoranz, die bereits hunderttausende Menschenleben im Irak gekostet hat, will die Bush-Regierung nun den Irankonflikt endgültig in die Dimension eines weltweiten Krieges katapultieren. Nichts anderes würde ein Angriff auf das Land bedeuten. Denn es ist – wenn man nicht gerade in Washington sitzt – nicht allzu schwer, sich auszumalen, was ein Angriff auf den Iran für Folgen haben würde.
Zuerst im Iran selbst: die Erwartung, dass sich die iranische Bevölkerung gegen ihren Präsidenten und ihre Armee erhebt, kurz nachdem tausende Iraner einem US-Bombardement zum Opfer gefallen sind, ist so unglaublich weltfremd, dass man sich nur an den Kopf fassen kann. Eher dürfte das genaue Gegenteil passieren. Ganz sicher aber wird Mohammed Ahmadinedschad danach der Held islamistischer Massen weltweit sein und für eine Radikalisierung der Schiiten im Iran, im Südirak und im Libanon, aber auch in den überwiegend von Schiiten bewohnten ölreichen Provinzen Saudi-Arabiens sorgen.
Mit unabsehbaren Konsequenzen: Angefangen von Anschlägen auf die saudischen Ölanlagen bis hin zu einem islamistischen Aufstand gegen das korrupte Herrscherhaus in Riad ist alles denkbar. Der Ölpreis würde in astronomische Höhen schießen, die weltweite Energieversorgung stünde kurzfristig auf der Kippe. Auch für US-Verbündete wie den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und den pakistanischen Militärregenten Pervez Musharraf könnte es eng werden: In beiden Ländern werden islamistische Bewegungen nur mit Mühe unterdrückt. Ein Bombardement des Irans aber könnte einen Aufruhr provozieren, den die beiden Potentaten politisch nicht überleben. So wie der Irakkrieg den Iran so sehr gestärkt hat, dass die US-Regierung nun glaubt, ihm nur noch militärisch beikommen zu können, hätte man dann womöglich in Pakistan Fanatiker an die Macht gebracht, die die Atombombe gar nicht mehr erst mühsam bauen müssten, sondern gleich über sie verfügen würden.
Wer ein solches Szenario für übertrieben hält, der braucht sich nur die politischen Verwerfungen anzuschauen, die bereits jetzt in Erwartungen eines Angriffs auf den Iran zu beobachten sind. Seit Monaten kommt die Regierungsbildung im Irak nicht voran. Das hat vordergründig mit der Ablehnung des amtierenden Ministerpräsidenten al-Dschaafari durch Sunniten und Kurden zu tun. Doch hinter den taktischen Spielchen steckt die Befürchtung, dass die Zeit für eine starke zentrale irakische Regierung bereits abgelaufen ist. Ein Angriff auf den Iran würde die Spaltung des Landes besiegeln: Der schiitische Süden wäre für die USA verloren, die sunnitische Mitte hat sie nie unter Kontrolle gebracht. Also bliebe lediglich der kurdische Norden als sicherer US-Stützpunkt.
Die US-Armee vermeidet deshalb schon jetzt alles, was ihre guten Beziehungen zu kurdischen Politikern trüben könnte. Das zeigt sich am Konflikt um Kirkuk und um die Stützpunkte der kurdisch-türkischen PKK im Nordirak. Seit dem Einmarsch der USA im Irak ist es das vorrangige Ziel kurdischer Politiker, ihre autonome Zone auf die Erdölprovinz Kirkuk auszudehnen – durch die Besetzung der wichtigsten kommunalen Ämter mit eigenen Politikern und der schrittweisen Veränderung der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung. So wie Saddam Hussein vor 30 Jahren dort Kurden vertrieben und Araber angesiedelt hat, findet derselbe Vorgang nun unter umgekehrten ethnischen Vorzeichen statt. Die Amerikaner tolerieren das, weil ihnen eine kurdische Kontrolle der nördlichen irakischen Ölfelder am liebsten ist.
Dafür sind sie auch bereit, einen heftigen Konflikt mit ihrem Nato-Verbündeten Türkei in Kauf zu nehmen. Seit die PKK seit rund einem Jahr wieder ihre Angriffe auf die Türkei verstärkt hat, bedrängt die Türkei die USA massiv, gegen die „Terrororganisation“ im Nordirak vorzugehen. Doch erst kürzlich erklärte der Stabschef der US-Streitkräfte, Peter Pace, bei seinem Besuch in Ankara ganz offen, die USA beabsichtigen nicht, gegen die PKK vorzugehen. In weiten Teilen der türkischen Öffentlichkeit ist man deshalb fest davon überzeugt, dass die aktuellen Unruhen im Südosten des Landes auch damit zusammenhängen, dass die US-Armee der Öcalan-Truppe einen Persilschein ausgestellt hat. Das mag zwar reine Spekulation sein, doch allein die reicht aus, um die ethnischen Spannungen in der Türkei aufzuheizen. Letztlich ist ein Teil des politischen Establishments bereits jetzt davon überzeugt, dass sich die USA in Kurdistan nach Israel ihr zweites Standbein im Nahen Osten schaffen wollen.
Doch selbst wer glaubt, eine kurzfristige und gewaltsame Unterbrechung des iranischen Nuklearprogramms sei es wert, den gesamten Nahen Osten in Brand zu setzen, muss sich zuvor klar machen, dass die politische Folgen weit über die Region hinaus zu spüren wären. Ein Krieg, wie ihn die Bush-Administration offenbar führen will, würde weltweit zu Anschlägen führen, die wiederum gravierende Folgen für das Zusammenleben von muslimischen Einwanderern und der Mehrheitsgesellschaft überall auf der Welt hätten. So wie islamistische Fanatiker aus Rache und strategischem Kalkül in ihren Ländern „westliche Ungläubige“ attackieren würden, würden Muslime im Westen dafür moralisch in Sippenhaftung genommen. Der Aufruhr um die dänischen Mohammed-Karikaturen wäre nur ein müdes Vorspiel zu diesem Exzess.
Anders als für die Amerikaner gibt es für die Europäer in diesem wahnwitzigen Szenario jedoch keinen Rückzug auf ihren Kontinent – hier könnte man sich nicht durch einen neuerlichen Isolationismus den Folgen des Brandes entziehen. Schon aus purem Selbstschutz muss die EU deshalb nach einem Ausweg aus der Irankrise suchen. Der erste Schritt wäre, die aktuelle Eskalationsstrategie der Bush-Regierung zu durchkreuzen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH