: Dieser Weg wird kein leichter sein
SONDIERUNG Wie weit ist es von der CSU bis zu den Grünen? Nach dem Erstgespräch üben sich die Beteiligten in politischer Geografie. Mit ähnlichen Ergebnissen
BERLIN taz | Beginnen wir mit den Nettigkeiten, die wirklich – ja, wirklich! – zu beobachten waren. Den einzigen Veggie-Day-Witz soll Cem Özdemir gerissen haben. Claudia Roth verabschiedete den CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nach seinem Pressestatement mit zwei Küsschen auf die Wange. Es gab Kuchen, Käse-Mohn und Streusel, und es fiel die berühmte Floskel, das Gespräch sei „ernsthaft, seriös und in guter Atmosphäre“ verlaufen. Ach ja, sogar ein zweites Treffen ist geplant, am Dienstag.
Behaupte also niemand, CDU, CSU und Grüne bemühten sich nicht in aller Ernsthaftigkeit, um noch eine Floskel aufzugreifen, die Möglichkeit eines schwarz-grünen Bündnisses zu eruieren. Gibt es sie also doch, die realistische Chance für Schwarz-Grün? Das erste Sondierungsgespräch der Verhandler aller drei Parteien ließ diese Frage auch am Freitag offen, es lieferte aber erste, wichtige Hinweise.
Viel war zum Beispiel von einem Weg die Rede. Auf einen solchen muss sich notwendigerweise jeder machen, der zu einem anderen gelangen will. Also sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt: „Der Weg von den Grünen zu uns ist länger als der Weg von der SPD zu uns.“ Sein CDU-Pendant Hermann Gröhe wiederholte diese Metapher wortgleich. Die Einschätzung, dass die Große Koalition das unkompliziertere Unterfangen wäre, wird von den Grünen geteilt. Bei Cem Özdemir klingt das mit dem Weg so: „Der Weg von CDU und CSU zu uns ist ein längerer als von der SPD, bei der CSU ist der Weg noch länger.“ Die geografische Vermessung der politischen Distanzen fällt also einigermaßen einhellig aus.
Die 14 Verhandler von CDU und CSU, angeführt von Kanzlerin Angela Merkel, und das achtköpfige Sondierungsteam der Grünen behandelten in drei Stunden in der Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber vom Reichstag eine ganze Reihe von Themen. Die Energiewende, der Klimaschutz und die ökologische Modernisierung des Landes nahmen viel Raum ein, ebenso die Europapolitik. Gröhe fasste dies so zusammen, dass man die Ziele einer erfolgreichen Energiewende und einer proeuropäischen Politik teile. „Aber in den Instrumenten gibt es teils erhebliche Unterschiede.“
Auch die Grünen blieben in der Nachbearbeitung am Freitag bei ihrem skeptischen Grundton. „Eine moderne, offene Gesellschaft ist für uns ein sehr entscheidender Wert“, sagte Özdemir. „Hier liegen CDU/CSU und Grüne noch weit auseinander.“ Dieses weite Feld konnte bei dem ersten Gespräch nur angerissen werden. Es wird bei dem zweiten Termin am Dienstag vertieft werden. Merkel bot ihn den Grünen persönlich an, die Grünen nahmen – nach kurzer Beratungs-Auszeit – an. Dann wollen sie testen, ob CDU und CSU beim Adoptionsrecht für Schwule und Lesben, einer Frauenquote oder bei der doppelten Staatsbürgerschaft beweglich wären.
Beide Seiten hätten bei Koalitionsverhandlungen mit inneren Widersprüchen zu kämpfen. Merkel könnte die Bürgerlichen nur schwer hinter dem historisch neuen Bündnis vereinen. Sie müsste den Grünen große Angebote machen. Dem steht die Stärke ihrer Union entgegen, die fast die absolute Mehrheit schaffte. Und das Störfeuer der breitbeinig auftretenden CSU dürfte in einer Regierung immer wieder aufflackern. Umgekehrt verspüren auch die Grünen wenig Lust auf ein Bündnis. Die Ökopartei befindet sich in einer Phase der Selbstfindung, kaum jemand in der Führung kann sich vorstellen, jetzt das Risiko einer Regierungsbeteiligung einzugehen. ULRICH SCHULTE