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Archiv-Artikel

Prosexuell, undogmatisch, explizit

PORNOGRAFIE Zum achten Mal bietet das Pornfilmfestival Berlin die Möglichkeit, dem Thema Sexualität in ungezwungener und intelligenter Gemeinschaft reflexiv zu begegnen

Das Thema Pädophilie erfährt in „Outing“ eine Aufmerksamkeit, fernab von Boulevard und Dämonisierung

VON CAROLIN WEIDNER

Wenn sich für eine Woche vor dem Kino Moviemento auf dem Kottbusser Damm allabendlich eine große und bunte Traube Menschen formiert, dann sicherlich wegen eines ganz besonderen Programms. Mitunter auch eines recht freizügigen. Vom 23. bis zum 27. Oktober bespielt das Pornfilmfestival in achter Edition die Säle des ältesten noch betriebenen Kinos in Deutschland. Eine gelungene Synthese – traditionsreiche Räume, ein mitteljunges Festival und das uralte Stelldichein in seinen verschiedensten Varianten, begutachtet von progressiven Kuratorinnen und Kuratoren. Jürgen Brüning jedenfalls, Filmemacher und Mitbegründer des Festivals, hofft im Vorwort zum Programm schon einmal darauf, „dass wir fünf schöne Oktobertage miteinander verbringen“. Und die könnten, je nach Vorliebe, folgende inhaltliche Schwerpunkte beinhalten: BDSM, Fetisch, Cruising, Japan-Bondage, Sex und Schwangerschaft oder auch die Frage „Wie drehe ich eigentlich meinen eigenen Pornofilm?“.

Was in seiner Listung womöglich plakativ klingt, ist in Wahrheit eine der wirklich äußerst raren Möglichkeiten, dem Thema Sexualität in ungezwungener, intelligenter und nicht selten humorvoller Gemeinschaft reflexiv zu begegnen: prosexuell, undogmatisch, explizit. Eröffnet wird die diesjährige Ausgabe von dem Dokumentarfilm „Kink“ (USA 2012), der in das Westküsten-Imperium Kink.com in San Francisco eindringt. Weit über einhundert Menschen arbeiten hier daran, „kinky“ – also „abartige“ Fantasien für User von insgesamt 18 verschiedenen Premium-Webseiten genießbar und somit gewinnbringend darzustellen. Die Entscheidung, den Eröffnungsabend mit einer Dokumentation zu feiern, ist eine so unkonventionelle wie konsequente: „Chroniques sexuelles d’une famille d’aujourd’hui“ (Jean-Marc Barr & Pascal Arnold) hieß die letztjährige Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner mithilfe eines Spielfilms. Ein eher gemütliches Erzeugnis und in seiner Nichtigkeit zum Scheitern verurteilt. Zudem hat sich bis dato immer wieder gezeigt: Die gezeigten Dokumentarfilme des Pornfilmfestivals gehören, neben seinen Retrospektiven (dieses Mal: Koichi Imaizumi als Regisseur und Darsteller in Pink-Filmen), zu den stärksten Stationen des Programms.

So beschäftigt sich „Exposed“ (USA 2013) mit der sinnlichen Bewegung des Neo-Burlesque in New Yorker Hinterhofkneipen. Filmemacherin Maike Brochhaus lässt in „Häppchenweise“ (Deutschland 2013) sechs Fremde aufeinander los und filmt, was dabei passiert. Die transsexuelle Lettin „Julia“ erhält im gleichnamigen Film von J. Jackie Baier ein bildgewaltiges Porträt. Und das Tabuthema Pädophilie erfährt in „Outing“ (Österreich 2012) eine Aufmerksamkeit, fernab von Boulevard und Dämonisierung. Starkes narratives Kino findet sich 2013 vor allem in dem programmatischen Knotenpunkten Cruising und Fetisch: Hier trifft Al Pacino auf Paul Sorvino in William Friedkins Klassiker „Cruising“ von 1980, der schöne Franck auf den schönen Michel im Bald-Klassiker „Der Fremde am See“ (Frankreich 2013) oder Mechthild Grossmann auf Udo Kier in „Verführung: Die grausame Frau“ (Deutschland 1985).

Wer es weniger ausgelassen, dafür komprimierter liebt, ist mit dem Kurzfilmprogramm bestens bedient, das sich in den Unterpunkten „Fun“, „Fetish“, „Queer“, „Gay“, „Lesbian“, „Art“, „Female“ und „Experimental“ präsentiert. Vielleicht sind es auch die Filme des „Bike Smut“-Festival, die Fantasien anregen, die man in dieser Form noch gar nicht gedacht hat, obgleich mancher behauptet, ein inniges Verhältnis zu seinem Fahrrad zu pflegen? So oder so, es ist ein starker Herbst für ein Berlin, das sich gern ausnehmend freisinnig gibt: Am 19. Oktober wird der feministische Porno-Filmpreis „PorYes“ im Filmtheater Hackesche Höfe verliehen. Unter den Nominierten ist neben Monika Treut auch Cleo Uebelmann vertreten, deren Filme „Mano Destra“ (Tschechien 1985) und „Moma“ (1989) auch auf dem Pornfilmfestival zu sehen sein werden. Schöne Oktobertage!

■ Pornfilmfestival Berlin: Moviemento, Kottbusser Damm 22, 23.–27. 10., Programm: www.pornfilmfestivalberlin.de

■ Carolin Weidner berichtet über das Pornfilmfestival auch hier: www.berliner-filmfestivals.de