: „Wir brauchen mehr Frontkultur“
BUNDESWEHR Wer Soldaten in den Kampf schickt, muss sie auch umfassend betreuen. Reinhold Robbe über die Verzögerung beim Traumazentrum für Soldaten, Zoobesuche und Karl-Valentin-Abende in Masar-i-Scharif
■ Reinhold Robbe (SPD), 55, übernahm vor fünf Jahren als erster ehemaliger Wehrdienstverweigerer das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Zuvor war er drei Jahre lang Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Der Sozialdemokrat hätte sich gerne für eine zweite Amtsperiode wählen lassen und bekam dafür auch öffentliche Unterstützung aus den Reihen der CDU. Doch die FDP beharrte auf den ihr bei den Koalitionsverhandlungen zugesagten Posten. Robbes Amtszeit endet offiziell am kommenden Mittwoch. Am 19. Mai wird er feierlich verabschiedet und Hellmut Königshaus (FDP) tritt seine Nachfolge an. EC Foto: ap
INTERVIEW ASTRID GEISLER UND ERIC CHAUVISTRÉ
taz: Herr Robbe, wohl nie war ein ehemaliger Zivildienstler so beliebt unter Soldaten wie Sie. Wie haben Sie das gemacht?
Reinhold Robbe: Sie werden sich vielleicht wundern, dass dieser Punkt nur ganz selten ein Thema war bei meiner Arbeit als Wehrbeauftragter. Manchmal haben mir Soldaten sogar gesagt: Eigentlich können Sie uns viel besser vertreten. Sie sind nicht Reserveoffizier, Sie müssen keine Rücksicht nehmen auf militärische Hierarchien. Sie haben den Rücken frei.
Heute treten Sie für die Soldaten ein. Wo war der Bruch in Ihrer Biografie?
Anfang der Siebzigerjahre habe ich den Kriegsdienst verweigert, weil ich nicht auf meine Verwandten in Erfurt und Karl-Marx-Stadt schießen wollte. Diese Lage hat sich seit 1990 fundamental verändert. Ich habe 1995, damals ging es um Bosnien, das erste Mal für einen robusten Einsatz gestimmt – und zwar gegen die eigene Fraktion. Da habe ich mir vorgenommen: Wenn du konfrontierst wirst mit den Folgen deines Beschlusses, dann hast du eine Verantwortung und musst dich auch um den einzelnen Menschen kümmern.
Früh haben Sie die Lage in Afghanistan Krieg genannt. Warum haben Sie mit dem sprachlichen Dogma im politischen Berlin gebrochen?
Ich habe gemerkt, wie die Soldaten darunter leiden, dass vieles massiv unterdrückt wurde, was mit einer deutlichen Beschreibung des Geschehens zu tun hatte. Die Soldaten wurden in Zentralasien tagtäglich in schwerste Gefechte verwickelt und bekamen alle Merkmale eines Krieges zu spüren. Sie sagten mir: Daheim glauben die Menschen, hier wird etwas aufgebaut, aber hier wird geschossen und gestorben.
Es ging nur um das Gefühl der Soldaten?
Nein. Ein größeres Verständnis in der Gesellschaft ist nur dann erreichbar, wenn man den Menschen reinen Wein einschenkt. Nichts ist schlimmer, als Dinge zu vertuschen oder schönzureden. Die Leute sehen am Abend in der „Tagesschau“, wie geschossen wird, und die politisch Verantwortlichen behaupten: Nein, es handelt sich nur um einen Unterstützungseinsatz für die afghanische Regierung.
Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel lehnt das böse K-Wort trotzdem weiter ab.
Da müssen Sie ihn selber fragen. Ich habe ihn so verstanden, dass er Normalisierung „kriegsähnlicher Verhältnisse“ im Einsatz verhindern will. Das ist durchaus ein legitimes Anliegen.
Müssen wir uns daran gewöhnen, dass immer mehr schwer traumatisierte Kriegsveteranen in unserem Land leben?
Es geht nicht um das Gewöhnen, um Gottes willen! Die Betroffenen, die an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, sollen einfach eine optimale Versorgung bekommen. Auch im zivilen Leben geht niemand gern zum Psychiater und das ist in der Bundeswehr noch viel stärker ausgeprägt. Aber die Realitäten müssen auf den Tisch. Die Amerikaner zum Beispiel reden längst offen darüber, dass 30 Prozent ihrer Soldaten mit psychischen Auffälligkeiten aus den Einsätzen zurückkommen.
Und in Deutschland ist man darauf noch nicht eingestellt?
Der Bundestag hat Anfang 2009 einstimmig die Schaffung eines Traumazentrums gefordert. Trotzdem hat es der Chef des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr bis heute nicht für nötig befunden, diesen Beschluss umzusetzen. Allerdings hat der Verteidigungsminister jetzt angekündigt, dass demnächst in Berlin solch ein Institut entstehen soll. Ich hoffe, es wird sich um ein Forschungs- und Kompetenzzentrum als selbstständiges Institut handeln, das auch seinen Namen verdient.
Trotz der neuen Debatte über den Krieg gibt es immer noch ein großes Desinteresse am Afghanistan-Einsatz.
An der Bevölkerung ist weitgehend vorbeigegangen, dass die Bundeswehr entscheidende Veränderungen durchgemacht hat. Vor 1990 fand der Ernstfall ja nur im Sandkasten statt. Inzwischen gibt es eine völlig neue Qualität. Aber die Politik hat es möglichst vermieden, ehrlich darüber zu reden. Auch in den Wahlkreisen finden solche Debatten kaum statt. Wenn dort bei einer Parteiversammlung jemand fragt: Was machen eigentlich unsere Jungs im Kosovo und in Afghanistan?, dann heißt es nicht selten: Das ist eine komplizierte Sache. Am besten wir reden beim nächsten Mal drüber.
Sie fordern stets mehr Solidarität mit den Soldaten. Wie soll das funktionieren, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung den Einsatz ablehnt?
Ich fordere keine Unterstützung für irgendwelche Mandate. Es geht mir nur darum, dass die Gesellschaft zumindest zur Kenntnis nimmt, was die Soldaten im Einsatz durchzustehen haben.
Meinen Sie das, wenn Sie eine bessere Integration der Soldaten in die deutsche Gesellschaft fordern?
In der gesamten kulturellen und wissenschaftlichen Elite unseres Landes finden Sie kaum jemanden, der sich ernsthaft mit der Bundeswehr befasst. Ich will nach dem Ausscheiden aus meinem Amt mit Hilfe eines runden Tischs eine breitere Debatte anstoßen. Mir geht es aber auch darum, ganz konkret mehr Zuwendung für die Soldaten zu organisieren.
Zuwendung organisieren?
Was hält denn zum Beispiel einen Gewerkschaftsfunktionär davon ab, bei der Kundgebung zum 1. Mai daran zu erinnern, dass sich zwischen 7.000 und 8.000 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland in Auslandseinsätzen befinden und dort ihr Leben riskieren? Was hält einen Arbeitgeberpräsidenten davon ab, zu Beginn seiner Jahrestagung der gefallenen Soldaten aus Deutschland zu gedenken?
In Deutschland gibt es große Vorbehalte gegen so eine Militarisierung des Alltagslebens …
Was hat das mit Militarisierung zu tun? Überhaupt nichts – ganz im Gegenteil! Die Soldaten sind nicht aus Jux und Dollerei im Einsatz. Es geht darum, mithilfe symbolischer Aktionen dafür zu sorgen, dass den Menschen hier klar wird, was es bedeutet, wenn der Bundestag einen solchen Einsatz beschließt.
Sie haben kein Verständnis dafür, dass vielen solche Symbolik widerstrebt?
Ich kenne natürlich die Argumentationen: Ist das nicht Heldenverehrung? Sind das Anknüpfungspunkte an die Hitler-Zeit? Ich will Ihnen sagen, ich bin an der Stelle vollkommen frei und unverdächtig. Ich bin mit 15 Jahren Sozialdemokrat geworden, um einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass sich die dunkelste Epoche unserer Geschichte niemals wiederholen möge. Das ist auch heute noch mein Bestreben.
Sie haben ja auch kostenlose Zoobesuche für Soldaten vorgeschlagen …
Richtig. Ich denke auch an kostenlose Theaterbesuche, an Tickets für Sportveranstaltungen – da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Würden die meisten Sozialdemokraten Zootickets nicht lieber Hartz-IV-Familien spendieren als gut verdienenden Soldaten?
Sie finden in jeder Partei solche Vorurteile wie das von den gut verdienenden Soldaten. Die lassen sich auch leider nicht so schnell beseitigen.
Aber verglichen mit dem Rest des Arbeitsmarkts bietet die Bundeswehr doch eine ziemlich gute soziale Absicherung …
Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Die Mehrheit der Soldaten zählt zu den unteren Einkommensgruppen. Und ein Kämmerer in Ueckermünde wird genauso gut bezahlt wie jemand in vergleichbarer Stellung bei der Bundeswehr, er muss aber nicht um Gesundheit und Leben fürchten. Ich sage Ihnen, wir müssen endlich zu einer offeneren Debatte kommen.
Auch die Bundeswehr?
Das gilt auch für die Soldaten, insbesondere die militärische Führung. Ich wünsche mir einen weniger restriktiven Umgang mit der Öffentlichkeit. Kritischen Leuten darf von der Bundeswehr nicht ständig eine unsichtbare Wand vorgehalten werden.
Heißt das, Sie wollen der Bundeswehr intellektuelle Frischluft verschaffen?
Den Versuch ist es wert. Die Bundeswehr hat ja schon zaghafte Versuche in diese Richtung unternommen, aber sie macht nicht genug auf diesem Gebiet.
Wie wollen Sie diesen Austausch mit Künstlern und Intellektuellen organisieren?
Ich habe die Schirmherrschaft für die neue Initiative „Frontkultur“ übernommen. Unter diesem provokanten Titel versuchen junge Künstler beispielsweise, Kultur in den Einsatz zu bringen.
Ein Auslandseinsatz für Nachwuchskünstler?
So kann man das sagen. Ende Mai wird in Masar-i-Scharif ein szenischer Liederabend von Karl Valentin aufgeführt. Die Künstler, fünf Sängerinnen und Schauspieler um die dreißig, hatten vorher nie irgendwelche Berührungspunkte mit der Bundeswehr.
Was soll die Frontkultur bringen, außer Ablenkung für die Truppe?
Ich erhoffe mir eine Ausstrahlung auf andere Künstler. Literaten könnten zum Beispiel eine Lesereise machen. Ich bin auch in Kontakt mit einem Fotografen, der Soldaten im Einsatz porträtieren möchte – aber unter einem bestimmten Blickwinkel. Wenn er daraus später eine Ausstellung in Berlin macht, würde das den Diskurs beleben.
Sie sind mit 55 Jahren zu jung, um sich aufs Ehrenamt zu verlegen. Wie viele Angebote von der Rüstungslobby haben Sie schon?
Sie werden lachen: Kein einziges.