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Archiv-Artikel

Danke, Schottland!

Woher kommt die Faszination des Fußballs? Die Ausstellung „Faszination Fußball“ im Hamburger Museum für Völkerkunde gibt darauf nicht nur eine Antwort, sondern Hunderte. Aber uralte Bälle, große Pokale und abgefahrene Fan-Devotionalien müssen letztendlich doch gegen jeden Kneipenbesuch mit Spielübertragung verlieren

„In diesem Buch steht erstmals, dass gepasst wird und dass es einen Torhüter gibt. Die Schotten haben den modernen Fußball erfunden!“

Ein Ball, zwei Tore, zwei Mannschaften – mag sein, dass die Chinesen als Erste auf diese Idee gekommen sind. Oder die Tschuktschen im Nordosten Sibiriens. Oder die Olmeken in Mittelamerika. Aber die Frage ist doch eigentlich: Wer gab den ersten Pass? Wer ist das erste Mal auf die Idee gekommen, nicht im Rugby-Stil allein mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, sondern das Spiel als Mannschaftssport zu begreifen?

„Das waren die Schotten!“, sagt Richard McBrearty und zeigt mit ausgestreckter Hand auf ein Stück Papier in einer Vitrine. Auf der Stirn des 32-Jährigen haben sich kleine Schweißtropfen gebildet und die Stimme arbeitet hochtourig. „In diesem schottischen Buch aus dem Jahr 1633 steht erstmals, dass gepasst wird und dass es einen Torhüter gibt. Die Schotten haben das Passen und damit den modernen Fußball erfunden!“

Richard McBrearty trägt eine Krawatte zum blauen Oberhemd, ist Leiter des Scottish Football Museum in Glasgow und hat schon oft „Danke“ gesagt an diesem Tag. „Danke“ für die Zusammenarbeit mit den Leuten vom Hamburger Völkerkundemuseum, denen er Exponate aus seinem Glasgower Museum für die Ausstellung „Faszination Fußball“ zur Verfügung gestellt hat. „Danke“ an die Kulturstiftung des Deutschen Fußball Bundes, die die Ausstellung als die „größte Ausstellung“ ihres WM-Kulturprogramms bewirbt. „Danke“, dass er die Chance hat, der Welt Bescheid zu geben, dass die Schotten den modernen Fußball entwickelt haben. Auch und gerade weil die Schotten die Qualifikation zur WM diesmal nicht gepackt haben.

Nun steht McBrearty vor der Vitrine, der Arm ist immer noch ausgestreckt und zeigt diesmal auf eine Urkunde die belegt, dass 1824 der John Hope Football Club im schottischen Edinburgh gegründet wurde. „Das ist der älteste Fußballverein der Welt“, ruft McBrearty und weil der Reporter interessiert schaut, redet er ohne Punkt und Komma weiter:

1892, sagt McBrearty, waren alle Spieler der ersten Mannschaft des Liverpool F.C. Schotten; 1889 gewann der Preston North End F.C. die erste englische Ligameisterschaft, wobei sieben von 11 Spielern aus Schottland kamen; 1881 fegte Schottland die Engländer mit 6:1 vom Platz und hatte dabei den ersten schwarzen Kapitän überhaupt. 18... Genau, es ist die Energie, um die es geht. McBrearty schwitzt immer mehr und wen interessiert es da, wenn der Direktor des Völkerkundemuseums, Professor Doktor Wulf Köpke, sagt, die Ausstellung solle „die ethnographischen und völkerkundlichen Bezüge des Fußball offen legen“? Niemand.

Und das ist ein Problem der Ausstellung „Faszination Fußball“: Sie zeigt uralte Bälle, große Pokale und abgefahrene Fan-Devotionalien. Sie zeigt die Fußball-Gepflogenheiten der Inuit und die eckigen Bälle der Strand-Kicker auf den Atollen im Pazifischen Ozean. Damit kann sie zeigen, welche Ausmaße die Fußball-Faszination hat. Erklären aber kann sie die Faszination nicht.

Was wohl auch zu viel verlangt wäre. Also gibt die Ausstellung statt einer Antwort hunderte Antworten und erzählt, was niemanden überrascht: Die Menschen erleben den Fußball auf zweierlei Arten, als Mitspieler oder als Zuschauer. Dementsprechend ist die Ausstellung aufgebaut als Fußball-Feld, das einmal quer durch‘s Museum läuft: Rechts begrenzt von einem modernen Tor, links von einem rekonstruierten Cuju-Tor – auf sowas hat dann der chinesische Kaiser Taizong vor tausend Jahren geschossen. Der Besucher läuft ein in die Schau, wie ein Spieler das Stadion betritt, kann sich aber auch auf die Tribüne entlang des Feldes begeben oder in ein 1960er-Jahre-Wohnzimmer, also wechseln in die Rolle des Zuschauers.

Und überall warten Exponate. Kurios sind die Fan-Wimpel aus Südamerika: Vorn das Vereinswappen, hinten ein Heiligenbild. Erstaunlich sind die Holzfiguren aus Togo: Sie werden von Priestern magisch mit Kraft aufgeladen und tragen passend dazu Schiedsrichter-Pfeifen um den Hals.

Ob man sich deswegen die Ausstellung anschauen sollte? Den Facettenreichtum des Fußballs belegt sie, das schon. Faszination aber gibt‘s eher in der Kneipe, wenn mal ein Spiel läuft. Und zufällig einer wie McBrearty am Nebentisch sitzt. Klaus Irler

„Faszination Fußball“: Bis 26. November im Museum für Völkerkunde in Hamburg. Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Begleitprogramm unterwww.faszination-fussball.de