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Archiv-Artikel

Die Logik der Kulturhauptstadtkultur

Strukturwandel durch Aufmerksamkeit? Essen darf sich Europäische Kulturhauptstadt 2010 nennen. Dabei wird Kultur zum Faktor marktorientierter Stadtpolitik. Das funktioniert aber nur dann, wenn – wie in Glasgow oder Valencia – die Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigt werden

von DIRK HAGEN

Endlich ist es geschafft. Zusammen mit dem ungarischen Pécs wird sich Essen mit dem Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2010“ schmücken. Damit hat sich die Jury der EU in Brüssel für den exemplarischen Wandel der einstigen Schwerindustrie- und Kohleregion, stellvertretend für das Ruhrgebiet, entschieden. Görlitz und die etwas bemüht wirkende Idee, zusammen mit Zgorzelec, dem durch Krieg und Oder abgetrennten polnischen Anhang, eine Art europäische Doppelstadt zu entwickeln, ging dagegen leer aus.

Alle anderen der insgesamt 18 deutschen Bewerber von Augsburg über Kassel bis hin zu Potsdam können sich damit trösten, wenigstens Teil eines bisher nie gekannten medialen Städte-Castings mit dementsprechender öffentlicher Aufmerksamkeit gewesen zu sein. 1984 in Athen gestartet, hat die Idee, eine europäische Stadt ein Jahr lang mit Kultur zu schmücken, wohl endgültig ihren Platz in der postfordistischen, marktorientierten Stadtpolitik gefunden. Kulturhauptstadt ist eine „Marke“, bietet eine ideale Corporate Identity und die Chance, sich im harten Städtewettbewerb besser zu platzieren.

Dabei funktioniert die Logik der Attraktion tatsächlich: So dürfen sich die Essener zu Recht auf Touristenströme freuen, wie zuletzt das österreichische Graz, Kulturhauptstadt 2003. Dort wurde immerhin ein respektables Wachstum von rund 25 Prozent erreicht. Doch ist die Gefahr groß, dass man nach nur einem Jahr „Hauptstadt“ schnell wieder in die Vergessenheit gerät: Weimar hatte 1999 eine kurzfristige Zunahme der Übernachtungszahlen um fast 60 Prozent zu vermelden, um im folgenden Jahr schon wieder einen Rückgang von 22 Prozent hinnehmen zu müssen.

Auch finanziell bietet die Kulturhauptstadt gehörige Risiken. Während der Beitrag der EU mit 500.000 Euro zur Finanzierung des Hauptstadtjahres eher kläglich erscheint, werden Stadt, Land, Bund und einige Großunternehmen des Ruhrgebiets für die Zeit von 2006 bis 2010 rund 48 Millionen Euro zusätzlich als „Grundfinanzierung“ des Events bereitstellen. Alleine 14 Millionen Euro, fast ein Viertel des Gesamtetats, hatte die Kulturhauptstadt Graz für Marketing, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit aufgewendet. Ähnliches wird auch von Essen zu erwarten sein. Erhofft werden dann aber auch über eine Million zusätzliche Übernachtungen allein für das Jahr 2010, die der ganzen Region rund 100 Millionen Euro einbringen sollen.

Mit den langfristigen Folgekosten, verursacht durch neu geschaffene publicityträchtige Kultureinrichtungen für das Hauptstadtjahr, müssen die Kommunen selbst fertig werden. So wurde in Weimar aufgrund der desolaten Haushaltslage das Stadtmuseum geschlossen, während Graz mit den explodierenden Betriebskosten der Helmut-List-Halle zu kämpfen hat. Mag das Event Kulturhauptstadt auch eine hohe Aufmerksamkeit über die regionalen Grenzen hinweg versprechen, so garantiert es doch noch lange keinen nachhaltigen Strukturwandel.

Dass Kultur durchaus einen wichtigen Beitrag zum Wandel von Image und Stadt beitragen kann, zeigen Städte wie das schottische Glasgow oder in Spanien Bilbao und zuletzt Valencia. Dort orientiert man sich an langfristigen Entwicklungskonzepten und an den Bedürfnissen der Bewohner, verbindet neue Architektur – etwa das gerade fertig gestellte futuristische Gebäudeensemble, die Ciudad de las Artes y las Ciencias des Architekten Santiago Calatrava in Valencia – mit der Revitalisierung von unbrauchbar gewordenem Stadtterrain. Bis dahin eher monoton und eintönig wirkende Viertel wurden so für Besucher, aber gerade auch für die Bewohner zu attraktiven, wieder lebenswerteren Orten.

Werden die Investitionen in Kultur nicht nur als Wirtschaftsfaktor zur Steigerung von Übernachtungszahlen verstanden und gehen sie mit der Verbesserung von Lebensqualität in Stadtquartieren einher, kann offenbar auch ein Strukturwandel nachhaltig wirken. Dass neben der Errichtung prestigeträchtiger kultureller Leuchttürme Vergleichbares auch in Essen gelingt, ist zu wünschen. Sicher ist aber auch: Für solch nachhaltige Veränderungen ist weit mehr als ein Jahr Kulturhauptstadt nötig.

Vage bleibt, was die Kulturschaffenden, die unzähligen Künstler in den vielen Theaterprojekten und in der Kleinkultur von alldem haben: Nicht viel, ist zu befürchten. Kulturhauptstadt als Marke für ein Stadtmarketing ist zu allererst Teil einer immer mehr wirtschaftlich neoliberal orientierten Stadtpolitik. Kulturwirtschaft und „Cultural Industries“ sind dabei lange schon wichtiger Bestandteil einer jeden Stadtökonomie. Und im Gegensatz zu vielen Wirtschaftsbereichen weisen gerade Dienstleistungen aus dem kulturellen Umfeld – genauso wie der Städtetourismus – noch ein bemerkenswertes Wachstumspotenzial auf. Deshalb ist für die oft bitter unter Finanznot leidenden Kommunen der Wettbewerb um „Kultur“ immer auch das zähe Ringen um zusätzliche Einnahmen und Arbeitsplätze.

Zugleich hat die Förderung von Kleinkultur kaum noch potente Fürsprecher in den Kommunen – und wird genauso zurückgefahren wie die infrastrukturelle Ausstattung vieler Stadtquartiere, vom Stadtteilmuseum bis hin zu sozialen Beratungsstellen. Verschwindet aber gerade dieses kulturelle Kapital als Nährboden von Kreativität und Vielfalt, könnten am Ende mit dem Verlust von Stadtteilkultur auch Ökonomie und Image erheblichen Schaden nehmen.