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Archiv-Artikel

„Wir schöpfen bisher nur das Sahnehäubchen ab“

WÄRME CO2 bei der Stromerzeugung einsparen? Schön und gut, findet BUND-Geschäftsführer Andreas Jarfe – aber die Wärmeerzeugung brauche viel mehr Energie. Gerade beim Heizen von Gebäuden gebe es enorme Einsparpotenziale, hier könne ein Stadtwerk viel leisten

Andreas Jarfe

■ ist Geschäftsführer des Berliner Landesverbands im Bund für Umwelt und Naturschutz BUND.

INTERVIEW SEBASTIAN HEISER

taz: Herr Jarfe, beim Volksentscheid am Sonntag geht es nicht nur um Strom, sondern auch um Wärme. Erklären Sie uns, warum die so wichtig ist.

Andreas Jarfe: Für Wärmeerzeugung verbrauchen wir ungefähr viermal so viel Energie wie für Strom. Wenn wir eine klimaneutrale Stadt werden wollen, müssen wir hier handeln.

Wir sprechen hier von der Heizwärme, aber auch vom Warmwasser zum Duschen.

Ja, wobei etwa 90 Prozent für die Heizungswärme draufgehen. Man duscht ja immer nur ein paar Minuten.

Wie wird die Wärme erzeugt?

Den größten Anteil hat Gas. Da hat man oft einen Kessel im Badezimmer oder bei einer Zentralheizung im Keller. Es folgt Heizöl, vor allem bei vielen älteren Einfamilienhäusern. Und gerade im Osten der Stadt ist Fernwärme verbreitet, die meist mit Steinkohle oder Gas erzeugt wird.

Und erneuerbare Energien?

Deren Anteil an der Wärmeerzeugung in Berlin liegt deutlich unter einem Prozent: Das ist ein bisschen Holz, das Vattenfall in seinen Kohlekraftwerken beimischt, und organische Reste im Hausmüll, der in Ruhleben verbrannt wird.

Obwohl Wärme viel klimarelevanter ist als Strom, hat dort die Energiewende noch nicht begonnen?

Absolut. Wir haben in den letzten Jahrzehnten riesige Gefechte um den Strom geführt, dabei hat der eigentlich nur einen marginalen Anteil am CO2-Ausstoß. Wir schöpfen bisher nur das Sahnehäubchen ab und haben die sehr mächtige Erdbeertorte darunter noch nicht mal angefasst.

Wie kann man hier den CO 2 -Ausstoß verringern?

Auf der einen Seite muss man den Wärmebedarf senken durch eine bessere Dämmung der Gebäude und effizientere Heizungsanlagen. Was dann übrig bleibt, muss man aus erneuerbaren Energien erzeugen.

Also zuerst die Sanierung.

Ja. Dabei ist das Dachgeschoss das Erste und Wichtigste unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt. Es muss gut isoliert sein, weil Wärme nach oben steigt. Zweitens die Abdichtung nach unten, damit von dort weniger Kälte reinkommt. Dann kommt die Isolierung der Fassade und dann der Austausch der Fenster.

Die Fenster zuletzt?

Auch moderne Fenster sind immer noch ein erhebliches Kälte-Einfallstor. Man kann den Wärmeverlust dort nicht so senken wie bei Dach und Wänden.

Wie kann nun ein Stadtwerk die Gebäudesanierung fördern?

Etwa durch Contracting-Modelle. Das Stadtwerk zahlt dabei für die Sanierung und erhält im Gegenzug die eingesparten Heizkosten.

Könnten so etwas nicht auch Banken machen?

Theoretisch ja, sie machen es bloß nicht. Vor allem nicht bei Ein- oder Zweifamilienhäusern. Für die kommerziellen Anbieter rechnet sich das nur, wenn sie mit kleinem Aufwand ein großes Finanzvolumen erreichen, etwa bei einem Krankenhaus. Beim Stadtwerk steht nicht die Rendite im Vordergrund, sondern eine gesellschaftliche Leistung: Es muss die Klimapolitik begleiten.

Was würde denn die Dämmung aller Gebäude in Berlin kosten?

Da gibt es verschiedene Schätzungen, aber die Größenordnung liegt in einem Bereich um die 20 Milliarden Euro für die Wohnungen. Dazu kommen Industrie und Büros.

Das entspricht etwa den jährlichen Ausgaben des Landes und aller Bezirke.

Ja, aber es fällt nicht auf einen Schlag an. Man kann das stufenweise umsetzen und mit anderen Sanierungsarbeiten verbinden. Wenn ich sowieso mein Dach neu decken muss, kann ich auch die Dämmung einbauen. Das macht es auch billiger.

Wie viel Geld aus dem Landeshaushalt bräuchte das Stadtwerk, um die Gebäudesanierung in einer relevanten Größenordnung zu unterstützen?

Da überfragen Sie mich. Natürlich sind die Dimensionen sehr viel höher als die derzeit vom Senat geplanten 1,5 Millionen. Aber es ist eine Vorsorge, um die Folgen des Klimawandels einzudämmen. Die dafür kalkulierten Kosten sind ein Zigfaches.

Punkt zwei: Wärmeerzeugung durch erneuerbare Energien. Welche können das sein?

Sonne, Erdwärme. Holz als nachwachsender Rohstoff kann verbrannt werden. Oder Biogas aus der Vergärung von Biomasse.

In Berlin gibt es kein nennenswertes Erdwärme-Potenzial, und die Sonne scheint gerade im Winter am wenigsten.

Genau.

Und so viel Holz, wie man bräuchte, kann man in der ganzen Region nicht anbauen.

Richtig. Es gibt wenig erneuerbare Energien im Wärmebereich, deshalb müssen wir den Bedarf so klein wie möglich bekommen.

Aber selbst einen halbierten oder gedrittelten Wärmebedarf kann man so nicht decken.

Was soll ich dazu sagen? Das ist sicher eine der großen Herausforderungen. Wir werden neue Technologien ausprobieren müssen. Ein Problem ist die verzögerte Diskussion. Wir haben uns jahrzehntelang einzig und alleine, anfänglich aus der Anti-Atom-Diskussion kommend, um den Strommarkt gekümmert.

Aber im Gesetzestext, über den ich am Sonntag abstimmen soll, heißt es, auch die Wärmeversorgung solle langfristig „zu 100 Prozent auf Grundlage dezentral erzeugter erneuerbarer Energien“ erfolgen. Wie kann ich guten Gewissens mit Ja stimmen, wenn das nicht geht?

Unmöglich ist es, glaube ich, nicht. Es wird möglich sein. Vor allem, wenn wir den Energiebedarf noch drastischer reduzieren. Es gibt schon jetzt Gebäude, die gar keine Wärme mehr benötigen, zugegebenermaßen vor allem Neubauten. Es gibt aber auch erste Pilotprojekte für bereits stehende Gebäude.

„Langfristig“ ist also …

… als offener Zeitpunkt definiert. Da geht es nicht um Jahre, sondern um Jahrzehnte.

Was halten Sie vom Stadtwerke-Gegenmodell des Senats?

Das ist ein politischer Schachzug. Es ist nicht auf den Wärmemarkt ausgerichtet. Deshalb muss man mit Ja stimmen: für ein Stadtwerk, das beim Kampf gegen den Klimawandel an der entscheidenden Stelle ansetzt.