: Autostopp? Autopop!
Den stinkenden Dino Pkw loszuwerden wird schwierig – er beherrscht die Träume von Millionen
■ studierte Philosophie und Soziologie in Köln, Journalismus in London. Seine Kulturgeschichte des Automobils „Objekte im Rückspiegel sind oft näher, als man denkt“ kurvt um die Logik des Irrationalen – weswegen das Auto nicht tot ist, sondern auf der Couch liegt. Wie der Kapitalismus, genau. Penzel hat erst mit 25 den Führerschein gemacht, bei der ersten Prüfung fiel er wegen Rasens durch. Seither ist er in Flensburg nicht mehr auffällig geworden.
Zeugen gab es keine. Und so musste die Polizei mühsam zusammenpuzzeln, was sich auf der Chaussee zwischen Marwitz und Henningsdorf zugetragen hatte: Der Berliner Juwelier Rudolf Plunz war mitsamt Ehefrau und halbwüchsigen Kindern in seinem Automobil mit etwa 40 Stundenkilometern unterwegs. Offenbar konnte er nicht oder nur zu spät erkennen, dass zwischen den Bäumen ein drei Millimeter starkes Drahtseil gespannt worden war. Mit dem wurden alle vorne sitzenden Fahrzeuginsassen geköpft, sodass das Automobil, nunmehr kopflos, gegen einen Baum krachte. Die ältere Tochter kam schwer verletzt davon, die jüngere hatte sich gerade gebückt, um etwas aufzuheben. So berichtete die Presse im März 1913.
Hass und Unverständnis gegenüber dem Auto – fast zeitgleich mit dem Fahrrad erfunden – sind keine neue Eigenart einer für Entschleunigung wetternden Front, sondern es gab das schon kurz vor Beginn der großen Materialschlacht 1914–18. Jedoch sind im Kampf gegen den Personenkraftwagen ein paar Argumente hinzugekommen: Umweltzerstörung, Ölknappheit, Platzmangel.
Denkt man an abgefackelte Autos, lässt sich konstatieren: Selbst in einer Gegenwart, in der Mobiltelefonie und Informationssuperhighways für mehr Rasanz sorgen als die Kicks auf der Route 66, macht das Auto als Statussymbol noch einiges her. Laut einer Umfrage von McKinsey sind knapp 80 Prozent der Deutschen davon überzeugt, „dass ihnen das Auto im Vergleich zu anderen Luxusgütern auch in Zukunft die größte Wertschätzung einbringt“.
Nebenbei: Man muss es gar nicht fahren. In Japan kommen 500 bis 600 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner, viele verlassen nur selten die Garage. So gesehen steht der Wagen besser da als der Glimmstängel, der nicht mehr ungefragt für cool steht. Besser auch als der Verzehr von totgequälten Tieren und als andere Gewissheiten, die in den letzten Jahren ins Schleudern geraten sind.
Wie geht das? Wie kann das sein? Opel, überhaupt das Auto und Teile seiner Industrie, sind doch in der Krise! Wie also bewegen wir uns in Zukunft? Vernünftig, indem nicht jeder ein – zumeist parkendes – Auto besitzt, sondern rund um die Uhr mit Carsharing nur die nötigen Wege motorisiert erfährt? Umweltschonend, also nicht mehr fossile Rohstoffe abfackelnd? Verknappt, mit E-Mobilen, die man nur ausleiht, wenn keine Bahn mehr fährt?
Schwierig, nein, ja, möglicherweise und je nach dem. Vor allem nicht naiv draufloswandernd. Denn die Autoindustrie ist, genauso wie der Thrill von Speed und Indivudualmobilität, viel zu groß und zu mächtig, als dass man schwach informiert drauflospolemisieren sollte.
Bevor wir einen Nachruf auf das Auto vorbereiten, sollten wir uns ein paar unverrückbare Tatsachen kurz im Rückspiegel vergegenwärtigen. Oder sogar rechts ranfahren und uns ganz uneilig einigen Überlegungen hingeben. Wenn man da so steht, merkt man: Jedes Muttchen und jedes Kind weiß, wie ein Auto aussieht, kann einen Käfer von einem Landrover unterscheiden, eine Ente von einem Porsche. Tatsächlich ist unser – oberflächliches – Wissen über das Auto wesentlich differenzierter als das über die meisten in der Schule vermittelten Kenntnisse.
Es ist wie Pop: Alltag, Wegwerfprodukt, Distinktionsobjekt, ein Medium irrsinnigster Projektionen. Weltweit – wie wir aus China und Indien hören – assoziieren Menschen Wohlstand und Flexibilität, auch soziales Vorankommen in der Gesellschaft mit dem Automobil. Ganz besonders gern made in Germany. Zu Recht oder Unrecht. Falls Letzteres, dann viel Spaß beim Umerziehen von mehr als einer Milliarde Autofahrern zwischen Taunus und Bel Air, der Tatra und dem Golf.
In Deutschland ist das Auto wie der Wald und Fußball eine heilige Kuh. Wirtschaftlich, politisch, mächtig – also verdächtig. Dabei gibt es eine Handvoll Besonderheiten. Es geht nicht um Ölwechsel oder Nockenwellenlagerungen, auch nicht um CO2-Werte oder die StVO, sondern darum: Die allermeisten Autos weltweit werden von einem Dutzend Konzernen hergestellt. Deren Kernkompetenz ist der mit Diesel oder Benzin betriebene Motor.
In jedem dieser Konzerne – Mitarbeiterzahlen weit über denen der Bewohner einer Großstadt – ziehen nicht immer alle an einem Strang, wiewohl alle ein Ziel gemeinsam haben: Sie wollen nicht arm oder arbeitslos werden. Wie es weitergeht, weiß niemand. Jedoch ist Daimler an Alternativen beteiligt (wie dem von Dotcom-Milliardären angeschobenen E-Auto von Tesla), zugleich besitzen Erdöl- und Erdgasmultis aus Abu Dhabi und Katar große Aktienanteile an Porsche.
Zweiter Gang: Öl wird rarer, vermutlich schneller als mancher – Multi – vorgibt, doch es ist immer noch spottbillig: Ein Liter Sprit, um die halbe Welt gereist und von Rohöl raffiniert, kostet in vielen Ländern weniger als ein Liter Trinkwasser. Weil die Förderung von Öl umständlicher, damit teurer wird, setzen Regierungen und Energiekonzerne – oder auch das Fraunhofer-Institut – auf erneuerbare Energien. Sonnenlicht und Wind gibt es in Mengen, ihre Umwandlung in Energie wird Machtverhältnisse weltweit grundlegend verändern. Die Energieriesen wissen das. Vielleicht werden unsere Nachfahren insofern vorfahren, als dass jeder mit dem Fahrrad und mit in der Kleidung integrierten Fotovoltaikzellen sein eigener Energieprovider wird, der überschüssigen Strom in seinem Pkw parkt und je nach Bedarf zum Fahren oder Kochen – oder Weiterverkaufen – nutzt.
Hochschalten: Um sich von A nach B zu bewegen, waren immer schon andere Verkehrsmittel vernünftiger. Aber Vernunft ist nicht das Einzige, was Menschen bewegt. Die Idee der Unabhängigkeit, auch wenn sie zwischen Leitplanken gesperrt wird, ist enorm mächtig. Schrittweise scheint sich das Individuum daran zu gewöhnen, die jahrzehntealte Vision des autonom fahrenden Autos (wie beispielsweise nun die E-Klasse von Mercedes) anzunehmen. Die Kartografierung der Welt durch Google und Navi und der mit Handy gläserne Hightechnomade steigen anscheinend voll ein in das smarte Auto, das vernünftiger zu bremsen und zu rasen imstande ist.
Vierter Gang: Will man sich mit Gepäck oder Kindern, auch in der Stadt, zu allen erdenklichen Tageszeiten unabhängig bewegen, so ist das mit dem Auto bequemer als mit den angebotenen Alternativen. Angebote wie Carsharing lösen nicht das Problem der vollgestopften Innenstädte. Zu erwarten ist, dass Autostraßen weiterhin mehr Raum einnehmen als Trottoirs oder Rennspuren für Bürger, die mit dem Mountainbike Omas umnieten.
Das Auto also ist in unseren Breiten ein bisschen angedellt. Aber schon das Gefühl von Freiheit (auch für den und die, die so Dorf und Familie hinter sich lassen und auch zu jeder Zeit ein Rendezvous verlassen können) ist nicht zu unterschätzen; ebenso der Appeal von entfesseltem Speed und Grenzüberschreitung. Deswegen lieben wir den Mini Cooper – zusammen mit den Beatles, Brigitte Bardot und der Queen. Denn das Auto transportiert mehr als Menschen oder Maschinengewehre. Weil aber parallel zur Perfektionierung das heutige Massenauto ein bisschen fad und langweilig geworden ist, muss umgedacht werden.
Die Überlebenschancen konventioneller netter Hersteller wie Opel, Ford, Peugeot et al. sind schlecht, denn in Postindustrienationen will keiner dieselben alten zusammengemorphten Dinger. Schon heute wird jedes vierte Auto in China gebaut, und wenn Statuskarossen in die Boommärkte exportiert werden, sind es tatsächlich die aus Deutschland (weltweit als Autohersteller an dritter Stelle, hinter Japan und vor Südkorea).
Das Auto wird sich in den nächsten Jahren extrem verändern. Wer zu langsam und schwerfällig agiert, bleibt auf der Strecke. Das ist das Verrückte an der Mobilmachung der letzten hundert Jahre: Räumlich gibt es kein Entkommen mehr, nonphysisch umso mehr, wie in jedem Café zu beobachten ist. Verläuft das Date ungünstig, taucht man/frau einfach ins Smartphone ab. Drahtlos.