: Persilschein für MI 5
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Die Anschläge auf drei Londoner U-Bahnen und einen Bus, bei denen am 7. Juli vorigen Jahres 56 Menschen ums Leben kamen, wären zu verhindern gewesen, hätte der Geheimdienst MI 5 mehr Mittel zur Verfügung gehabt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des britischen Unterhaus-Ausschusses für Sicherheit.
In dem Bericht, der gestern veröffentlicht wurde, heißt es, dass der Anführer der Attentäter, Mohammed Siddique Khan, zwar unter Beobachtung stand, jedoch die MI 5-Beamten wegen eines anderen Terror-Alarms abgezogen wurden.
In Anbetracht anderer Fälle von größerer Priorität und der begrenzten Mittel der Sicherheitsdienste sei diese Maßnahme verständlich gewesen, sagen die Autoren des Berichts, acht Abgeordnete und ein Oberhaus-Lord. Deshalb sei ein Versagen der Geheimdienste auszuschließen. Es habe lediglich „nachrichtendienstliche Lücken“ gegeben, zum Beispiel bei der Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und Pakistan, das zwei der Attentäter besucht hatten, um Kontakt mit extremistischen Gruppen aufzunehmen.
Die Attentäter seien zwar von der Ideologie al-Qaidas beeinflusst worden, doch die Theorie, dass ein al-Qaida-Führer aus dem Ausland angereist sei, um die vier jungen Briten muslimischen Glaubens im Bombenlegen zu unterweisen, lehnt der Ausschuss ab. Er kritisiert die Geheimdienste lediglich dafür, dass sie nicht mit der Möglichkeit einheimischer, scheinbar integrierter Bombenleger gerechnet haben.
Außerdem empfehlen die Autoren eine größere Transparenz bei der Ausrufung der Alarmstufen. Wenige Wochen vor den Anschlägen hatte der MI 5 die Alarmstufe heruntergeschraubt. Zwei Wochen nach den Attentaten, am 21. Juli, wollte der Geheimdienst wieder Entwarnung geben. Am selben Tag versuchten vier weitere junge Briten, die Anschläge vom 7. Juli zu kopieren. Man müsse eben die Grenzen der nachrichtendienstlichen Erkenntnisse berücksichtigen, heißt es in dem Bericht, damit kein falsches Sicherheitsgefühl in der Öffentlichkeit entstehe.
Die MI 5-Generaldirektorin Eliza Manningham-Buller sagte gestern nach Veröffentlichung des Berichts, dass der MI 5 die Arbeit gegen das organisierte Verbrechen an eine neu zu gründende Polizeieinheit abgeben und sich stattdessen verstärkt gegen den internationalen Terrorismus engagieren werde. Der Unterhaus-Ausschuss sagte, die Geheimdienste haben seit Juli vorigen Jahres drei weitere geplante Anschläge vereitelt. Er warnte, dass weitere Einschränkungen der Privatsphäre durch die Sicherheitskräfte in Anbetracht der steigenden Terrorgefahr unvermeidlich seien.
Ein zweiter Bericht, der gestern vom Innenministerium veröffentlicht wurde, kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es keine Hintermänner bei den Anschlägen gab. Genauso wenig habe es einen fünften Attentäter gegeben. Darüber hinaus seien die Anschläge nicht durch den Irakkrieg motiviert gewesen, meint das Innenministerium, obwohl eine Videoaufnahme existiert, in der Siddique Khan genau das als Motiv benennt.
Teile der beiden Berichte sind von der Regierung zensiert worden. Ein Tory-Sprecher sagte, dass man den Verdacht eines Persilscheins nicht loswerde, da sich die Berichte hauptsächlich auf geheim gehaltene Aussagen der Polizei und der Geheimdienste stützen. Er forderte deshalb eine öffentliche Untersuchung. Das lehnte John Reid, der seit der Kabinettsumbildung vor einer Woche Innenminister ist, gestern ausdrücklich ab. Es würde die Geheimdienste nur von ihrer Arbeit ablenken – und das zu einer Zeit, wo Großbritannien durch weitere Anschläge ernsthaft bedroht sei, sagte Reid.