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Archiv-Artikel

Auch Afrikaner wollen an Kanarenstrände

Die spanischen Urlaubsinseln für Weiße vor Afrikas Küste werden Ziel für immer mehr Armutsflüchtlinge

MADRID taz ■ Die Regionalregierung auf den Kanarischen Inseln schlägt Alarm: In den letzten drei Tagen sind 974 Flüchtlinge mit 15 Booten an den Stränden von Teneriffa, La Gomera, Gran Canaria und Fuerteventura angekommen. „Das schlägt alles bisher Dagewesene“, erklärt der Sprecher der Autonomieverwaltung, Miguel Becerra. Denn so viele sind noch nie auf einmal auf die Inseln gekommen.

Seit Januar sind nach spanischen Angaben 6.100 Flüchtlinge und Migranten in Booten auf die Kanaren gelangt. Im gesamten Vorjahr kamen gerade einmal 4.715. 2005 und 2006 sollen rund 1.000 die Überfahrt nicht überlebt haben. Die Kanaren werden für immer mehr Afrikaner zum Ziel, seit die Meerenge von Gibraltar und die Grenzzäune der beiden spanischen Exklaven in Marokko, Ceuta und Melilla, besser kontrolliert werden.

Der Großteil der Flüchtlinge der letzten Tage landete auf Teneriffa. Knapp 900 Menschen werden dort vom Roten Kreuz betreut. „Viele weisen Quetschungen und Prellungen auf, andere haben Geschwüre, die von der Sonne und vom Treibstoff hervorgerufen wurden“, berichtet Austin Taylor vom Roten Kreuz. Der Hafen Los Cristianos und das Süd-Kommissariat auf Teneriffa wurden zum improvisierten Lager. Behelfs-WCs wurden aufgebaut, Matratzen herbeigeschafft. Ein Richter bearbeitet rund um die Uhr die Fälle der Neuankömmlinge. So weit möglich werden ihre Personalien aufgenommen und ihr Herkunftsland bestimmt. Dann werden sie in ein eigens wiedereröffnetes Auffanglager in einem verlassenen Militärkomplex gebracht.

Die Kanaren-Regierung wirft Spaniens Zentralregierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero angesichts der immer gravierenderen Situation „Nachlässigkeit“ vor. „Wir wollen nur, dass umgesetzt wird, was uns Vizepräsidentin María Teresa Fernández de la Vega bei ihrem Besuch auf den Kanaren versprochen hat“, erklärt Sprecher Becerra. Nach der letzten Flüchtlingskrise im Frühjahr hatte De la Vega verstärkte Kontakte mit Marokko und Mauretanien sowie gemeinsame Patrouillen der spanischen und mauretanischen Marine zugesichert.

Die spanische Regierung reagierte trotz eines Feiertages in Madrid auf die Kritik. De la Vega rief gestern Vormittag den Arbeits- und den Innenminister zur Krisensitzung. „Wer illegal kommt, muss gehen“, bekräftigte die Vizepräsidentin. Doch auch sie weiß, dass dies so einfach nicht geht. Denn wenn bei einem Flüchtling das Heimatland nicht bekannt ist, oder wenn es mit diesem Land – und das ist fast immer der Fall – kein Rücknahmeabkommen gibt, muss der Betroffene nach spätestens 40 Tagen aus der Abschiebehaft entlassen werden. Dieses Problem will De la Vega jetzt mit „einer diplomatischen Offensive“ lösen, um die Regierungen der Herkunftsländer zur Rücknahme ihrer Bürger zu bewegen.

Kurzfristig kann De la Vega, die eingestehen muss, dass „die Lage sehr kompliziert“ ist, nur mit einer konkreten Maßnahme aufwarten: Ab heute soll, wie vor Monaten versprochen, die spanische Marine zusammen mit den Mauretaniern im Atlantik auf Patrouille gehen. Außerdem sollen spanische Polizeibeamten ihre mauretanischen Kollegen bei der Kontrolle der mauretanischen Häfen unterstützen.

Doch ob dies den Flüchtlingsstrom tatsächlich stoppen wird, bezweifeln viele. Denn die Flüchtlinge sind äußerst mobil. Seit mit Marokko die polizeiliche Kooperation funktioniert, legen die Boote in Mauretanien ab. Seit dort die Kontrolle zunimmt, rücken die Länder noch weiter im Süden ins Visier. So kam ein Teil der Flüchtlingsboote vom Wochenende aus Senegal. Kein Weg scheint zu weit, wenn es darum geht, dem Elend zu entkommen.

REINER WANDLER