: Sport ja, IOC nein
VOLKES WILLE Olympiastadt München? Das ist für ziemlich lange Zeit vom Tisch. Ein Schock für die Befürworter der Winterspiele
■ In allen vier geplanten Austragungsstätten war das Quorum, also die Mindestwahlbeteiligung, erreicht worden, in allen stimmte eine Mehrheit der BürgerInnen mit Nein, also gegen eine Olympiabewerbung 2022.
■ MünchenWahlbeteiligung: 28,9 Prozent Ja: 47,9 Prozent Nein: 52,1 Prozent
■ TraunsteinWahlbeteiligung: 32,54 Prozent Ja: 46,31 Prozent Nein: 53,69 Prozent
■ Garmisch-PartenkirchenWahlbeteiligung: 55,8 Prozent Ja: 48,44 Prozent Nein: 51,56 Prozent
■ Berchtesgadener Land:Wahlbeteiligung: 38,25 Prozent Ja: 45,9 Prozent Nein: 54,1 Prozent Quelle: Landratsämter
AUS MÜNCHEN SEBASTIAN KEMNITZER
Der Mann steht zu seiner Meinung, auch wenn er gerade eine krachende Niederlage einstecken musste. Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Kurzinterview um 19.50 Uhr, seit wenigen Minuten weiß Vesper, dass die Bürger keine Münchner Olympiabewerbung wollen, alle vier Bürgerentscheide haben die Olympiabefürworter verloren. Ein Debakel. Und Vesper? Der spricht von Fehlinformationen im Vorfeld der Abstimmung. Frage nach den umstrittenen IOC-Knebelverträgen? Die Verträge seien nicht kritisch zu sehen, sagt Vesper fast ein wenig trotzig. Und hat der ehemalige DOSB-Präsident Thomas Bach nun ein Akzeptanzproblem? Nein, denn Thomas Bach sei ja der neutrale Präsident des IOC und würde diese Woche noch fünf bis sechs Bewerbungen für die Olympischen Winterspiele 2022 erhalten.
Eine erneute Münchner Bewerbung wird nicht dabei sein. Fraglich ist, ob sich München überhaupt noch einmal für Olympische Spiele bewirbt. Und eine andere deutsche Stadt? In Berlin gibt man sich auf Nachfrage der taz betont zurückhaltend. Das Abstimmungsergebnis in Bayern müsse „gründlich analysiert werden“, betonte Richard Meng, Sprecher des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Dies sei Sache der deutschen Sportverbände. Das Nein sei ein „Rückschlag“ für die Idee von deutschen Olympiabewerbungen überhaupt, so Meng weiter. Deswegen müsste sich der „deutsche Sport“ auch erst auf einen Zeitpunkt für eine eventuelle erneute Bewerbung einigen, bevor über den konkreten Ort nachgedacht werden könne. Eine solche Bewerbung müsste möglichst breit getragen werden und gegebenenfalls auch hier einen Volksentscheid überstehen.
In München hat Ludwig Hartmann sein Ziel erst mal erreicht. Seit fünf Jahren beschäftigt sich der junge Politiker der Grünen mit dem Thema Olympia. Noch eine Stunde vor Schließung der Wahllokale zeigt sich Hartmann verhalten optimistisch. Er rechne mit einem engen Wahlausgang, positiv sei, dass sich der Deutsche Alpenverein noch gegen die Olympiabewerbung ausgesprochen habe. Allerdings würden die Befürworter noch massiv versuchen zu mobilisieren. Hartmann spielt an auf ganzseitige Anzeigen in den großen Münchner Zeitungen. Werbung im Fußballstadion. Aber auch auf eine Mail vom Münchner Oberbürgermeister Christian Ude zwei Tage vor der Abstimmung, in der Ude über die „Fundamentalopposition der Bewerbungsgegner“ schimpft.
Verdutzte Sieger
Auch die Olympiabefürworter treten selbstbewusst auf. Thomas Muderlak, Sprecher der Pro-Olympia-Kampagne, posiert mit einer jungen Dame im historischen Olympia-1972-Kostüm. Die Stimmung sei sehr gut, ein klares 4:0 das Ziel, so der schnelle, lächelnde Kommentar von Muderlak um 18.20 Uhr. Wenige Minuten später ist sein Lächeln erloschen. Erste Trends trudeln ein, die Gegner in Garmisch-Partenkirchen liegen vorne, dann in München. Um 19.06 Uhr strahlen die Olympiagegner, sind aber auch etwas verdutzt: In Garmisch-Partenkirchen sind alle Stimmen ausgezählt, knapp 52 Prozent der Bürger stimmen gegen die Olympiabewerbung. Während Ludwig Hartmann erste Interviews gibt, sind die Olympiabefürworter fassungslos. Die junge Dame im Olympia-1972-Kostüm geht nach Hause, das Kostüm ist bereits in einer Tasche verschwunden.
Kurz vor halb acht treten Christian Ude, Michael Vesper und der designierte DOSB-Präsident Alfons Hörmann vor die Mikrofone, räumen die Niederlage ein. „Damit ist die Bewerbung gescheitert. Dies gilt nicht nur für 2022, sondern nach meiner persönlichen Einschätzung dauerhaft“, sagt Ude. Alle drei loben noch einmal das gute, ökologische Konzept, versuchen, positive, professionelle Worte für die Niederlage zu finden. Die prominenten Sportler im Raum reagieren ehrlicher, authentischer. „Ich bin traurig, dass die Leute anscheinend so engstirnig denken“, sagt Ski-Olympiasiegerin Maria Riesch, die ihre Fingernägel extra in den Olympiafarben lackiert hatte. „Das ist eine riesige Schlappe für uns“, sagt der ehemalige Skispringer Sven Hannawald, der das Votum nicht versteht. „Nirgendwo ist doch die Begeisterung für Wintersport größer als in Deutschland.“
Gute-Laune-Kampagne
Vermutlich haben die Olympia-Befürworter gedacht, dass genau dieser Aspekt und eine massive Gute-Laune-Kampagne ausreichen, um ein Ja der Bürger für eine Olympiabewerbung einzuholen. Die Argumente der Gegner, vor allem die Intransparenz des IOC, wurden dagegen nie wirklich ernst genommen. Der designierte DOSB-Präsident Hörmann kann, ähnlich wie Vesper, keine wirklichen Fehler erkennen. „Wir haben früh und offen über unsere Konzept kommuniziert“, sagt er gegenüber der taz. Und die Frage der Verträge? Die Kritik daran, dass finanzielle Risiken einseitig von der Bewerberstadt getragen werden müssten, während das IOC seinen garantierten Profit einstreicht? „Ich kenne die internationalen Verträge gut und kann keine Knebelung erkennen.“
Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach acht, kehren die Olympiagegner bereits in eine Gaststätte ein, um ihren Erfolg zu feiern. Der bekannteste Olympiagegner, der Grüne Ludwig Hartmann, hat sich ein alkoholfreies Bier geschnappt, blickt zufrieden auf seine Handvoll Mitstreiter. „Wir waren einfach gut organisiert und haben auf die richtigen Themen gesetzt“, sagt er. „Es ging nie gegen den Sport. Das 4:0 von uns ist ein Zeichen gegen die Intransparenz des IOC, gegen die Profitgier.“ Schon gegen 21 Uhr ist die Feier der Olympiagegner zu Ende. Allzu lautstark wollen sie ihren Erfolg dann doch nicht feiern.