die taz vor 14 Jahren : Bascha Mika hört zu, wie Ostler über das neue Deutschland reden
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Der Zöllner aus Boizenburg redet los wie ein Wasserfall: „Die Leute hier ham sie voll vorn Koffer getreten. Wenn du’s Kleingeld nicht hast, nützt dir die Reisefreiheit überhaupt nichts.“ Er hätte zwar Arbeit, seine Frau auch, aber wo man hinhöre: Alles Scheiße! Dann zählt er auf: die vielen Arbeitslosen, die Schulden, die Obdachlosen, die unter den Brücken schlafen, die Milliarden für die Rüstung und die Arbeiter, die für 1.000 Mark buckeln, während die in Bonn 6.000 fürs Rumsitzen kassieren. „Irgendwann geht der Hammer voll nach hinten los“, unkt er. „Der Kohl merkt überhaupt nicht, was los ist mit den Rechten. Der Schönhuber darf schon einfach im Fernsehen auftreten!.“ „Der reinste Terror ist das mit den Neonazis“, nickt ein Mitreisender ihm zu. „Das werden viele erst glauben, wenn sie auf der Straße verprügelt werden. Bisher passiert das Deutschen ja nich.“

„Das mußt du dir mal vorstellen“, erzählt die ehemalige Krippenerzieherin ihrer Freundin. „Seit Jahren waren die im Westen. Und dann sind sie einfach zu ihrem alten Haus hingekommen, sind einfach rein und wollten es zurückhaben. Haben praktisch die Familie, die da schon jahrelang gewohnt hat, rausgeschmissen.“ Gereizt klappert sie mit dem Deckel des festgeschraubten Zugaschenbechers.

So wie er aussieht, hat er bereits eine chronische Gastritis, der Fahrgast in Jeans, der sich blaß in die Eisenbahnpolster lehnt. „Diese Angst vor der Zukunft. Und nett ist es auch nicht gerade“, sagt er und blickt aus dem Fenster, „wenn einem dann an den Kopf geschmissen wird: Ihr habt 40 Jahre nicht gearbeitet, und wir müssen euch jetzt aus der Scheiße raushelfen.“ Wenn man in der DDR gelebt hätte, sähe man das schließlich anders.

Eine ältere Dame aus dem Westen ist auf dem Weg zu Verwandten in Schwerin. „Finden Sie nicht“, fragt sie und lächelt sanft, „daß die meisten hier nach der Wende doch sehr zufrieden sind?“