: Alle gegen Schwarz-Rot
WIDERHALL Linke, Grüne, Attac und Arbeitgeber kritisieren den Koalitionsvertrag. Der Deutsche Gewerkschaftsbund freut sich immerhin ein wenig über den Mindestlohn
AUS BERLIN MARTIN REEH
Erwartungsgemäß skeptisch zeigte sich die Opposition angesichts des schwarz-roten Koalitionsvertrag. „Das ist ein Programm für den politischen Stillstand“, sagte Linken-Parteichefin Katja Kipping am Mittwoch. Der Vertrag sei „sozialpolitisch substanzlos“. Beim anvisierten Mindestlohn von 8,50 Euro sei offen, was dieser angesichts der Inflation 2017 noch wert sei. Das „Dogma der Schuldenbremse“ werde von Schwarz-Rot über alles gesetzt, für mehr Steuergerechtigkeit seien keine Anstrengungen unternommen worden.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi bemängelte vor allem die europapolitischen Abschnitte des Koalitionsvertrags. Schwarz-Rot stelle „die Logik der Wettbewerbsfähigkeit über alles“. Auch der Süden Europas werde auf mehr Export getrimmt, sodass „irgendwann eine neue Agenda“ in Deutschland drohe, um deutsche Produkte konkurrenzfähig zu halten.
Für die Grünen kritisierte Parteichefin Simone Peter die Koalitionsvereinbarung. Die „dürftigen Ergebnisse“ stünden „in keinem Verhältnis zur Dauer der Verhandlungen“, sagte sie. „Die Zukunftsvergessenheit der Koalition zeigt sich besonders bei Klimaschutz, Energiewende und Investitionen. Union und SPD schieben die Energiewende aufs Abstellgleis.“ Kohle erhielte Bestandsschutz, die Erneuerbaren würden ausgebremst.
Auch beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac zeigte man sich enttäuscht. „Die ungeheuer schiefe Einkommens- und Vermögensverteilung wird trotz vieler gegenteiliger Wahlaussagen der SPD nicht angegangen“, sagte Detlev von Larcher, Gründungsmitglied und in der AG Finanzmärkte aktiv. Positiv seien die Formulierungen zur Finanztransaktionssteuer. Die Idee, deren Auswirkungen „auf Instrumente der Altersversorgung, auf Kleinanleger sowie die Realwirtschaft“ zu überprüfen, könnte jedoch „ein Einfallstor für Verwässerungsversuche sein“, sagte der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete.
Auch den Arbeitgebern gefällt der Vertrag nicht. Er sei „eine vertane Chance für Deutschlands Zukunft“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo. „Wir fühlen uns im globalen Wettbewerb alleingelassen. Der Trend zu mehr staatlicher Entscheidung statt unternehmerischer Freiheit setzt sich ungebremst fort“, sagte Grillo, ohne auf Einzelheiten des Vertrags einzugehen.
Mit einer sehr detaillierten Stellungnahme ohne Schlagworte reagierte dagegen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Mit der Einführung des Mindestlohns werde „eine langjährige Forderung des DGB endlich umgesetzt“: „Das Einfrieren des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro bis 2018 wird den Erfordernissen allerdings nicht gerecht.“ Der DGB begrüßte, dass der Beitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gesenkt werden soll. Kritisch sieht er die Kontinuität in der europäischen Austeritätspolitik.
Verschlechterungen für Hartz-IV-Empfänger befürchtet Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland. Der Koalitionsvertrag bezieht sich positiv auf die Ergebnisse einer diesbezüglichen Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Behrsing rechnet daher damit, dass Klagen gegen Jobcenter-Bescheide kostenpflichtig werden könnten. Dennoch würden die Sozialdemokraten wegen des Mindestlohns den Koalitionsvertrag kaum ablehnen können. „Die SPD ist in die Falle getappt“, glaubt Behrsing.