LEXIKON DES MODERNEN UND UNMODERNEN FUSSBALLS : Staubsauger, der
CHRISTOPH BIERMANN
Vom Staubsauger hörte ich zum ersten Mal durch Ewald Lienen, als der Staubsauger noch Scheibenwischer hieß. Lienen hatte damals einen solchen nicht nur an seinem Auto (einem schwarzen Mercedes, den ihm der Verein gestellt hatte), sondern auch im Mittelfeld des MSV Duisburg. Wie ein Wischblatt auf der Frontscheibe eines Wagens flitzte er Anfang der Neunzigerjahre vor der Abwehr der von ihm trainierten blau-weiß geringelten Zebras herum und versuchte, die herantropfenden gegnerischen Bälle zu klären. Wie der Spieler hieß, habe ich leider vergessen, aber nicht die Lienen’sche Wortschöpfung.
Und eigentlich stellt sich die Frage, warum es nicht bei seiner Beschreibung für den Job geblieben ist und die Trainer auf der Suche nach einem passenden Sprachbild im Baumarkt ein paar Regale weitergingen und zum Staubsauger griffen. Denn dass da einer im Mittelfeld die Bälle wegwischt, leuchtet doch bildlich wesentlich mehr ein als die Vorstellung eines Spielers, der sie aufsaugt. Noch zutreffender wäre bei der Open-Air-Veranstaltung, die ein Fußballspiel schließlich ist, sogar von einem Laubsauger zu sprechen. Oder am besten: vom Laubbläser. Die Abwehrarbeit vor der Abwehr besteht schließlich darin, des Gegners Kombinationen hier schon mal stürmisch wehend zu unterbrechen.
Andererseits kann man aber auch wieder verstehen, dass sich der Staubsauger durchgesetzt hat, denn welcher Spieler möchte schon auf die Frage nach seiner Jobbeschreibung antworten müssen: Ich bin Laubbläser vor der Abwehr. Oder: Ich mach den Scheibenwischer. Ein Staubsauger ist da schon besser, der macht wenigstens Krach. Bevor wir so fast zwingend bei Loriot landen („Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann“), müssen wir der Begriffsgeschichte jedoch eine kurze zeitgenössische Wendung geben. Denn selbst wenn der Suchauftrag „Staubsauger vor der Abwehr“ im Internet noch fast 75.000 Einträge zu Tage fördert, ist dieser doch längst im Industriemuseum des Fußballs gelandet. Sein Nachfolgemodell heißt „Sechser“, was schlanker, kühler, technokratischer klingt und auch so gemeint ist. Denn der Sechser macht nicht mehr nur sauber, er ist heute auch eine kreative Kraft und spielt in der zeitgenössischen Theoriebildung des Fußballs eine zentrale Rolle.
Diese soll hier aber nicht noch einmal aufgerollt, sondern lieber einiger großer Staubsauger der deutschen Fußballgeschichte gedacht werden, die das auch brauchen, weil sie irgendwie dann doch nicht wirklich unvergessen sind. Jens Jeremies hatte wenigstens noch ein Moment rasender Unerbittlichkeit in seinem Spiel, das dafür gesorgt hat, dass die Fans des FC Bayern immer noch gerne an ihn denken. Aber vor allem Didi Hamann und Carsten Ramelow sind große Unverstandene geblieben, bei denen man nie genau wusste, was sie da auf dem Platz eigentlich so genau machten und was davon zu halten war. Vor allem Hamanns strategische Fähigkeiten, die schon früh eher sechser- als staubsaugerhaft waren, wurden hierzulande beharrlich übersehen, weshalb er nach England exilierte und dort zumindest beim FC Liverpool die nötige Anerkennung fand.
Doch eigentlich ist nur einer als großer Wischer und Sauger in Erinnerung geblieben: Dieter Eilts war wortkarger Antiheld des deutschen Europameisters von 1996 und wurde zum „Ostfriesen-Alemao“ geadelt. Wer immer darauf gekommen ist, hat so lange um die Ecke gedacht, bis sich die Katze wieder in den Schwanz gebissen hat. Denn ursprünglich wurde der brasilianische Nationalspieler Ricardo Rogério de Brito von den meisten nur Alemao genannt, weil er wie Eilts im defensiven Mittelfeld so preußisch arbeitete und wegen seiner blonden Haare auch noch wie ein Deutscher aussah. Alemao heißt nämlich nichts anderes als „der Deutsche“. Somit war Dieter Eilts also eigentlich der Ostfriesen-Deutsche, aber mit den Spitznamen von Spielern ist es eben genauso ein Elend wie mit der ganzen Metaphorik des Fußballs.