: Anlass zum Feiern, nicht bloß zum Trauern
AFRIKA Der Kontinent sonnt sich in Mandelas Aura. Sein Gedankengut birgt politische Sprengkraft
VON DOMINIC JOHNSON
Die Welt trauert um Nelson Mandela, und das ist weniger selbstverständlich, als es scheint. Eine strahlende, unangefochtene Figur ist der Südafrikaner erst in der Schlussphase seiner 95 Jahre geworden. In seiner politisch aktiven Zeit wurde Mandela auch von vielen jener angefeindet, die ihn heute verehren. Amnesty International setzte sich während seiner Inhaftierung nicht für ihn ein, weil er der Gewalt nicht abschwor. Bis vor wenigen Jahren stand er auf einer US-Terrorliste. In Erinnerung an die Kompromisslosigkeit des Anti-Apartheid-Kampfes werden die tiefen Gräben wieder sichtbar, die Afrika mit seinem Erinnerungen an den Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus bis heute vom Rest der Welt trennen.
Noch nie aber hat die Welt so einmütig um einen Afrikaner getrauert wie heute. Nelson Mandela ist ein Befreiungsheld – nicht nur für Südafrika, sondern für den Kontinent insgesamt. Er steht für die Würde Afrikas. Die Welt blickt zu ihm auf und damit zu einem Afrika, das für Freiheit und Versöhnung steht.
Für einige wenige wunderbare Jahre hat Nelson Mandela diese afrikanische Utopie in die brutale Wirklichkeit Südafrikas eingeführt und damit die südafrikanische Nation von innen heraus leuchten lassen, als Vorbild für die ganze Welt. Das ist Mandelas einzigartiges Vermächtnis. Mandela hat dieses Afrika als Ziel eines gemeinsamen Strebens definiert, dessen Verwirklichung maßgeblich vom selbstlosen Einsatz des Einzelnen abhängt.
Für die halbe Milliarde Afrikaner, die seit Überwindung der südafrikanischen Apartheid auf die Welt gekommen sind, gibt es kein besseres Vorbild. Afrikas Gegenwart zählt nicht viele positive Helden. Aber Mandela kann dem Kontinent keiner nehmen.
So ist Afrika jetzt mit der Welt vereint – in Trauer, aber auch im Stolz. Vor der Zentrale der Afrikanischen Union wehen die Flaggen sämtlicher afrikanischer Länder auf halbmast. Der Eiffelturm leuchtet in den südafrikanischen Farben, pünktlich zu Frankreichs Afrikagipfel. In Ruandas Parlament gibt es eine Schweigeminute. Unzählige Regierungen haben eine mehrtägige Staatstrauer verfügt. Sie erhoffen sich einen Abglanz von Mandelas Aura für sich selbst. Aber dass die Trauerszenen aus Südafrika eher wie Freudenfeiern aussehen, bietet einen Vorgeschmack darauf, was brutalen Regimen blühen könnte, falls die Menschen wirklich einmal massenhaft Mandelas Gedankengut verinnerlichen.
Denn in Mandelas Lebensweg steckt erhebliche Sprengkraft: Der Freiheitsgedanke als Fundament politischer Ethik. Die Legitimität des bewaffneten Kampfes und des Aufstands als Mittel politischer Veränderung. Selbstdisziplin, Genügsamkeit und Unterordnung unter das Kollektiv als Prinzipien politischen Handelns. Der Mut, dem Gegner die Stirn zu bieten, auch um den Preis des eigenen Lebens, und ihm die Hand zu reichen, wenn das Ziel einmal erreicht ist.