: Seufz, schmacht, Sublimierung
DAS SCHLAGLOCH von HILAL SEZGIN
Was „das Eine“ betrifft, ist die Aufregung im Ausland jedenfalls deutlich größer als bei uns. Viel Fußball = mehr Bordelle, das weiß inzwischen jeder. Nur die Schweden aber haben das Wort Boykott in den Mund genommen, und nur Amerikaner finden es offenbar merkwürdig, dass deutsche Städte Gewerbescheine verteilen und Geld ausgeben für prostitutionsnahe Infrastruktur. Die sind halt prüde – das trifft uns wenig.
„Typisch skandinavische Bevormundungsdemokratie“, kann man im einen Fall herablassend sagen, und „Pfui Teufel, Konservative“ im zweiten Fall. Und bisher hat weder der eine noch der andere Einspruch die deutsche Öffentlichkeit aus der Ruhe gebracht.
Vielleicht liegt es daran, dass wir über diese Dinge nicht sprechen wollen. Denn über sie zu sprechen, hieße für uns Frauen, auch mit dem eigenen Partner darüber zu sprechen. Sinnlos, denn der geht natürlich nie ins Bordell. Angeblich sind zwar 30 Prozent der männlichen Bundesbürger regelmäßige Bordellbesucher, aber gut, das sind wieder so Statistiken.
Egal, über welche zehn Männer aus dem nächsten Bekanntenkreis man das Netz der persönlichen Stichprobe auswirft, es sind nie drei Bordellbesucher dabei. Höchstens mal ein einziger, der sich ein Herz fasst, von seinen Erfahrungen erzählt und dafür mit zwölf Monaten Freundschaftsentzug büßen muss. „Jetzt kennen wir uns schon so lang, wir können ganz offen drüber reden“, sagt frau vorher, und zwei Tage nachher: „Also tut mir Leid, aber du im Bordell – jetzt, wo ich’s weiß, komm ich damit einfach nicht klar.“
Man stelle sich also mal vor, wie viel mehr Vernichtungspotenzial so ein Gespräch unter Liebenden beispielsweise während der „Sportschau“ hat. Er: „Jetzt mal bitte kurz nicht quatschen, die bringen gleich die Tabelle. So, was sagst du, Schatz?“ Sie: „Hhm, das ist doch Fußball …“ „Jaaa?“ „Und über den Fußball hab ich gehört … also während der WM …“ Sie legt den Zusammenhang irgendwie dar. „Bordelle. Nutten. Verrichtungsboxen – kannst du dir so was vorstellen? Also wie man zu einer wildfremden Frau geht und …“ Die Frage erstirbt ihr auf den Lippen. Sein Blick signalisiert: vorstellen muss er sich das gar nicht erst.
Horror! Aber, dieser Fall tritt ja wie gesagt nie ein, weil die Bordellbesucher nicht die Männer sind, die wir kennen, sondern nur andere Männer. Aber auch die mag man sich beim Gang zur Prostituierten ungern vorstellen. Man braucht nur mal in einem Rotlichtviertel eine Ampelphase abwarten und sehen, wie viele Männer da so pro Minute aus einem Bordell oder auch nur einer Peepshow herauskommen, und es wird einem aggressiv zumute. Manche, die aus den Peepshows, haben sogar noch Flecken vorn auf der Hose – was seid ihr eigentlich für Dreckskerle, ihr Männer? Steckt einfach was in irgendwen rein, Lust, gar Glück, kein Ekel, das war’s?
Dafür haben den Ekel wir, die der ganzen Sache aus meist recht nichts ahnender Ferne zu- oder eher davon wegsehenden Frauen. Aber: Die andere Seite dieses Abscheus ist, man kann das ruhig auch mal zugeben, eine vage Form von Neid auf etwas, das man nicht hat. Und auch gar nicht wirklich haben will. Denn wenn man es hätte, hätte man vermutlich Probleme damit. Also würde man es entweder gern ohne Probleme haben – oder, dass auch niemand anders es hat: den käuflichen Sex. Es ist ja nicht so, dass wir Frauen keine Gelüste kennen. Und allem Anschein zum Trotz, reicht es auch uns in solchen liebesbedürftigen Phasen keineswegs, eine Komödie mit Hugh Grant auf Video zu sehen. Seufz, schmacht, Sublimierung?
Nein, wir begehren objektlos weiter. Und wenn man sich ansieht, was mit den, sagen wir, über 25-jährigen Männern auf dem unverkäuflichen Sex-Sektor so los ist, nämlich nicht viel, da kann man sich schon ein bisschen erbosen. Wie einfach es sich diese Typen machen! Vielleicht geben die sich mit uns kostenlosen Frauen so wenig Mühe, weil sie es mit den bezahlbaren viel leichter haben.
Falls es überhaupt mal ein Unverheirateter schafft, die Arbeit so zeitig abzubrechen, dass er mit uns abends in einer Bar flirten kann – kriegt er garantiert früh genug einen „Bandscheibenvorfall“, um uns danach allein nach Haus gehen zu lassen. Sollten ihn nicht sämtliche Bandscheiben Nr. 3 bis 13 im Stich gelassen haben, musste er also zum unentgeltlichen Vollzug schreiten, sorgt zwischen drei und vier Uhr morgens ein akuter Anfall von „Beziehungsangst“ dafür, dass sich das Malheur keinesfalls wiederholt.
Gut, wie gesagt, es geht sowieso nicht direkt um die Männer, mit denen wir selber flirten, sondern um die anderen; insofern stimmt die Rechnung nicht ganz. Aber im Prinzip regeln Angebot und Nachfrage doch sicher auch diesen Markt. Und so gesehen muss man (eigentlich: frau) sich fragen, ob Männer vielleicht etwas besser kapiert haben als wir. Wir leben schließlich in einer Dienstleistungsgesellschaft. Vielleicht ist Sex ja tatsächlich eine Sache, die nur in Ausnahmefällen mit einer Liebesbeziehung einhergeht, also zum Beispiel wie Haareschneiden, wenn die entsprechenden Begabungen und Voraussetzungen zufällig aufeinander treffen. Im Regelfall aber schneidet einem die Haare der Friseur, und Sex holt man (irgendwann auch: frau?) sich im jeweiligen Kiez?
In Berlin soll es ja bereits ein Bordell für Frauen geben. Nun, was gibt es in Berlin nicht, wo man auf der Suche nach einem Schuhladen, falls man sich in der Tür geirrt hat, aus Versehen in einem Swinger-Club landen kann. In anderen Städten gibt es für so etwas spezielle Bezirke.
Ich habe – aus rein journalistischen Gründen selbstverständlich – mal bei einer einschlägig gebildeten Sexshopbesitzerin gefragt, ob es in Frankfurt eigentlich auch Nutten für Frauen gebe. Leider nein, antwortete sie, es habe sich nicht rentiert. „Ich kannte mal ne Frau, die hat so was angeboten. Aber es war einfach zu aufwändig, sagte die. Die Frauen wollten immer erst mal nen Kaffee mit ihr trinken, ob man sich auch wirklich leiden und gut riechen mag. So was kann sich eine Geschäftsfrau einfach nicht leisten.“ Ach, wir gefühligen, gutherzigen Frauen. Dass unser Herz aber auch immer ein bisschen mit dabei sein muss.
Nach diesem Gespräch träumte ich die verruchtesten Dinge. Nämlich, dass auch ich plötzlich ein Bordell aufsuchte. Es war ein Riesenbordell, passenderweise in einem ungeheuer heimlichen Kellergeschoss, und es voll der tollsten und schönsten … Kosmetikerinnen. Ich entschied mich (alles im Traum) für eine Maniküre, dezenter Lack in Perlmuttweiß. Bitte jetzt nichts mit Muschel assoziieren oder so – es war wirklich einfach nur Lack.
Sonst passierte gar nix. Eine andere Frau bekam ganz normal die Haare gemacht. Wenige Wochen später (jetzt wieder echtes Leben) bekam ich den Gutschein für eine Massage im Kosmetikstudio geschenkt. Halb entkleidet, wurde mein Rücken auf die züchtigste Art massiert, und mit dem Gesicht nach unten, aufs Linoleum starrend, wusste ich genau: Näher als so würde ich, würden die meisten Frauen nie im Leben an einen bezahlten Liebesdienst herankommen.