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Erfrischend unskandalös

Die ukrainische Mannschaft gibt mit einem klaren Sieg gegen Saudi-Arabien die passende Antwort auf die Alkohol-Gerüchte. Oleg Blochins Team wahrt damit die Chance auf den Einzug ins Achtelfinale

AUS HAMBURG ANDREAS RÜTTENAUER

Saudi-Arabien spielt regelmäßig bei Fußball-Weltmeisterschaften mit. Die Spieler bleiben dennoch unbekannte Männer, über die auch Fußballexperten hierzulande kaum etwas wissen. Deshalb landen die Scheichs in ihren wallenden Gewändern, die den Fußball nach Saudi-Arabien importiert haben, oft im Mittelpunkt der Berichterstattung, obwohl auch über sie so gut wie nichts bekannt ist. Wüste, Scheichs und Öl sind die Begriffe, die wohl am häufigsten verwendet werden, wenn über Fußball auf der arabischen Halbinsel gesprochen wird.

Aber auch über die Ukraine, den Gegner der Saudis, waren vor dem Anpfiff in Hamburg beinahe nur klischeehafte Geschichten im Umlauf. Über die typisch osteuropäische Korruption im Verband wurde geschrieben, über den Trainer Oleg Blochin als postsowjetischen Betonkopf, über den unerklärlichen Reichtum von Funktionären in einem armen Land, über die märchenhaft hohe Weltmeister-Prämie von angeblich 28 Millionen Euro und über eine Öffentlichkeitsarbeit, die sich vor allem im Schließen von Türen äußert. Und dann gab es noch ein Gerücht. Es soll gesoffen worden sein nach der Niederlage gegen Spanien. Typisch! Es waren ukrainische Journalisten, die Andrej Gusin und Wladimir Jezerskij an einer Leipziger Bar mit einem Bierglas in der Hand gesehen haben wollen.

Kurz vor dem Anpfiff schämt sich der Reporter einer Kiewer Tageszeitung über das Bild von seinem Heimatland, das auch wegen seiner ukrainischen Kollegen alles andere als positiv ist. Er erklärt, dass Gusins Familie nach Leipzig gereist sei, um sich mit ihrem prominenten Sohn zu treffen. Dabei habe man sich an die Bar gesetzt und vielleicht auch ein Bier getrunken, erzählt der Reporter. Gesehen hat auch er nicht, was sich abgespielt hat an der Theke. Bereitwillig erklärt der Journalist alle Fragen nach dem Innenleben der ukrainischen Nationalmannschaft, über das auch er nicht so richtig viel weiß. Er überrascht vor allem mit der Aussage, dass Oleg Blochin nach der WM als Trainer aufhören werde, egal wie weit die Mannschaft kommen wird. „Das Team hat keine Zukunft, es ist zu schlecht.“ Und die souveräne Qualifikation? „Alles Glück!“ Außerdem gebe es zu viele Grüppchen im Team und der einzig gute Spieler, Andrej Schewtschenko, sei – auch wenn er jetzt nach England gehe – eher Italiener als Ukrainer. So richtig vermag der Kollege seine internationale Zuhörerschaft weder für die Mannschaft der Ukraine noch für sein Heimatland zu begeistern.

Und dann beginnt das Spiel. Schon nach vier Minuten führt die Ukraine 1:0. Alle Spieler sprinten mit glücklichen Gesichtern zur Eckfahne und herzen den Torschützen Andrej Rusol. Plötzlich ist die Ukraine wieder der unschuldige WM-Neuling, der mit erfrischendem Fußball die Herzen auch der eigentlich neutralen Fans zu gewinnen vermag. Am Ende steht es 4:0 für Gelb-Blau. Der englische Italiener Schewtschenko hat ein Tor (46.) erzielt und eines vorbereitet. Ein gewisser Maxim Kalinitschenko, der gegen Spanien noch auf der Bank saß, zeichnete sich erst im linken und dann im rechten Mittelfeld als Antreiber sowie als Torschütze (84.) aus. Und mit Sergej Rebrow durfte Schewtschenkos kongenialer Partner aus Kiewer Zeiten endlich mal wieder von Beginn an mitwirken und ebenfalls ein Tor (34.) erzielen.

Trainer Oleg Blochin legte sein Miesepetergesicht ab und freute sich über den Sieg. Er wirkte beinahe nett. Die Ukraine hat ein Fußballspiel gegen Saudi-Arabien mit 4:0 gewonnen und war mit einem Mal so richtig sympathisch. Und die Saudis? Für die interessiert sich niemand nach dem Abpfiff.

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