: Eltern wollen Europa erhalten
Die ersten Absolventen der Europaschulen haben das Abitur geschafft. Doch das Konzept werde vom Senat zu wenig unterstützt, klagen Elternvertreter. Einige sprechen sogar von „Sabotage“
Von Karin Schädler
An den Europaschulen haben die ersten Schüler das Abitur bestanden. Die 38 Abgänger, die den Modellversuch Europaschule vollständig durchlaufen haben, wurden gestern Abend von Schulsenator Klaus Böger (SPD) empfangen. Doch während der Erfolg der Staatlichen Europaschulen im Roten Rathaus gefeiert wurde, protestieren die Eltern gegen Veränderungen in den Schulen. Die geplante Rhythmisierung von Ganztagsgrundschulen, die ab dem kommenden Schuljahr auch an den Europaschulen umgesetzt werden soll, sorgt ebenso für Unmut wie die seit einem Jahr abgeschafften Vorschulen.
Der Schulversuch hat bereits 1992 an sechs Berliner Grundschulen begonnen. Das Konzept der Schulen sieht vor, dass die Muttersprache der Hälfte der Kinder Deutsch, die der anderen Hälfte eine zweite europäische Verkehrssprache ist. Der Unterricht soll jeweils zur Hälfte in beiden Sprachen stattfinden. Das Konzept sieht vor, dass auch auch die Hälfte der Lehrer Muttersprachler in der jeweils zweiten Sprache sind.
Insgesamt gibt es in Berlin 18 Europagrundschulen. Als zweite Muttersprache werden vor allem Russisch und Französisch, aber auch Polnisch, Portugiesisch, Türkisch, Griechisch, Italienisch, Spanisch und Englisch angeboten. An elf Oberschulen können die Schüler ihre Ausbildung in den jeweiligen Sprachkombinationen bis zum Abitur weiterführen.
Die Senatsverwaltung will nun die Europaschulen – ebenso wie die anderen gebundenen Ganztagsgrundschulen – der so genannten Rhythmisierung unterziehen. Diese ist eine Kernforderung vieler Bildungsexperten. Rhythmisierung besagt, dass nicht mehr der Unterricht vormittags und die Freizeitaktivitäten nachmittags stattfinden sollen, sondern sich beide ständig abwechseln – für die ganze Klasse zusammen bis 16 Uhr.
Die Elternvertreter der Europaschulen halten dieses Konzept eigentlich für sinnvoll. Sie bemängeln aber, dass das Personal und die Räume dafür nicht ausreichten. Dabei finden sie immer klarere Worte: „Der Senat sabotiert die Weiterführung der Europaschulen“, sagt Gesamtelternvertreter Uwe Otto. Die Elternvertreter fordern, dass nicht nur die Lehrer, sondern auch die Erzieher für die Freizeitbetreuung zur Hälfte Muttersprachler in der jeweils zweiten Sprache sind.
Zweiter Kritikpunkt der Eltern ist die bereits umgesetzte Abschaffung der Vorschule, die für Europaschulen ein besonderes Problem sei. Es könne dann nur noch eingeschult werden, wer bereits ausreichende Kenntnisse in beiden Sprachen besitzt, so die Kritik. Ein Elternvertreter der Charles-Dickens-Grundschule hat für den Erhalt der Europaschulen in der bestehenden Form eine Petition im Internet gestartet, die nun auch der grüne EU-Parlamentarier Cem Özdemir unterzeichnet hat.
Petition verfasst
In der Petition bemängeln die Elternvertreter auch, dass der Modellversuch Europaschule noch immer nicht wissenschaftlich begleitet wird. „Ein mühseliger Kampf“ sei der Erhalt der Europaschulen schon immer gewesen, sagt Elternvertreter Otto. Ein Kampf, bei dem es immer auch um die Anerkennung dieses Schulmodells ging. „Würde man nach dem Konzept Europaschule jede Neuköllner Schule führen, dann hätten wir eine Menge Probleme gelöst“, sagt Carl Christian Jancke, ein Elternvertreter der Charles-Dickens-Grundschule. Das Konzept sei sehr integrativ. Den Anteil von Kindern aus so genannten bildungsfernen Schichten schätzt er auf 20 Prozent.
Der Anteil ärmerer Familien liegt aber zumindest in der deutsch-türkischen Europaschule in Kreuzberg sehr hoch. „Etwa 45 Prozent leben von Sozialhilfe oder Hartz IV“, sagt die Rektorin Christel Kottmann-Mentz. Prinzipien der Europaschulen müssten auch im Regelfall Einzug finden, sagt Elfi Jantzen von der Grünen-Fraktion: „Man sollte die Mehrsprachigkeit und Interkulturalität der Kinder als wertvolle Ressource begreifen, nicht als Hindernis.“ Kottmann-Mentz ist überzeugt, dass auf diese Weise die Persönlichkeit von Kindern mit Migrationshintergrund stabilisiert wird: „Sie haben ein geringeres Aggressionspotenzial, weil sie nicht immer abgewertet werden.“