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Archiv-Artikel

Auf dem O-Platz denkt keiner ans Aufhören

KREUZBERG Die Protestierenden interessiert die Senatsentscheidung wenig – sie wollen ohnehin bleiben

Vor einem Zelt sitzt ein junger Mann auf einem Hocker und lässt sich die Haare schneiden. Ein Unterstützer zieht einen Handkarren ins Infozelt, hievt ein paar Tüten auf das zerschlissene Sofa und ein Netz Mandarinen: „Hier, neue Klamotten. Und ein paar Vitamine.“ Ein Kameramann streift durch die kleine Zeltstadt auf dem Kreuzberger Oranienplatz, filmt die Zelte, die die protestierenden Flüchtlinge in den vergangenen Tagen mit Holz verstärkt haben, „wegen des Wetters“, manche sehen aus wie kleine Hütten. Darauf, das Camp auf dem Oranienplatz bald zu räumen, bereitet sich hier offenbar niemand vor – im Gegenteil.

„Viele überlegen zurückzukommen, um hier zu wohnen“, sagt ein junger Flüchtling im Infozelt. 80 andere sind im Dezember in ein Weddinger Haus gezogen, das die Caritas als Winterquartier zur Verfügung stellt. Sie hätten den Protest auf dem Platz tagsüber fortsetzen wollen, aber sie hätten nur BVG-Tickets für eine Woche bekommen. „Wir wollen den Platz nicht aufgeben, bevor unsere Forderungen erfüllt sind: Arbeit, Aufenthaltsgenehmigung, Recht auf Bildung.“

Auch Turgay Ulu, der 2012 am Flüchtlingsmarsch von Würzburg nach Berlin beteiligt war, macht klar, dass das Camp nicht freiwillig aufgegeben werde. Als einer von wenigen hat er von der Diskussion im Senat am Dienstag mitbekommen – und davon, dass die für den 18. Januar geplante Räumung vorerst auf Eis liegt. Er glaubt, dass es in den kommenden Monaten keinen Räumungsversuch geben wird. Und wenn doch, rechnet er mit der Unterstützung der linken Gruppen. „Das letzte Mal, als die Polizei hier war, waren sofort 2.000 Menschen da.“

Manche schmieden Pläne

Ein wirklich großes Thema ist das geplatzte Ultimatum jedoch weder für ihn noch für seine Mitstreiter – ohnehin denkt hier niemand daran, das Camp freiwillig zu verlassen. „Wo sollen wir denn hin?“, fragt einer genervt. „Wir haben doch keinen Platz. Ich will Arbeit, sonst nichts.“

Andere, wie Ulu, schmieden bereits Pläne für weitere Kämpfe. Im Mai soll ein europaweiter Marsch der Flüchtlinge starten, am 21. Juni soll er in Brüssel ankommen. Flüchtlinge aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden seien bereits dabei, erzählt er, auch nach Griechenland und Spanien bestehe Kontakt. „Solange es keine Lösung für die Probleme gibt, solange es Krieg, Kolonialismus und rassistische Gesetze gibt, gehen auch die Proteste weiter. Auf dem Oranienplatz oder anderswo.“ JULIANE SCHUMACHER